Auf einem kleinen Werbeplakat im Bus wird ein natürliches Heilmittel angepriesen, das für einen gesunden Schlaf sorgen und das innere Gleichgewicht optimieren soll. Eine junge Frau ist neben den Tablettenschachteln abgebildet, sie lacht zufrieden und wirkt ungemein entspannt, was wenig verwundert, schließlich darf sie sich eines gesunden Schlafes und eines optimierten inneren Gleichgewichtes erfreuen. Geneviève starrt die Frau auf dem Plakat an, spürt die Zerknirschtheit und den Neid. Geneviève hätte auch gerne einen gesunden Schlaf und ein optimiertes inneres Gleichgewicht, doch sie ist weit davon entfernt. Stattdessen hat Geneviève diesen unhandlichen französischen Namen, obwohl weder ihre Eltern noch ihre Großeltern oder Urgroßeltern französische oder frankophone Wurzeln hatten. Die Mutter fand den Namen einfach schön. Die Mutter findet auch den Pirol schön, obwohl man den gelben Vogel nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Ob ihr Vater den Namen schön fand, weiß Geneviève nicht; er spricht nicht sonderlich gerne über derartige Dinge, wobei derartige Dinge wohl alle emotional relevanten Elemente von Genevièves Leben umfassen. Die Frau auf dem Werbeplakat lacht noch immer, und Geneviève möchte ihr am liebsten den übelriechenden Hamburger an den Kopf werfen, den sich ein junger Fahrgast soeben gelangweilt ins Maul schiebt. Doch bevor Geneviève einen weiteren Gedanken über die Zweckentfremdung von Fast Food fassen kann, wendet die Frau auf dem Plakat ihren Kopf und blickt Geneviève direkt in die Augen. Geneviève zuckt zusammen, schnappt nach Luft. Der übelriechende Hamburger des jungen Fahrgastes ist plötzlich sehr weit weg. Eine ungewohnte Hitze strömt durch Genevièves Körper, ihr Mund öffnet sich einen Spalt breit, doch es gelingt ihr nicht, auch nur ein triviales Wort zu artikulieren. Stattdessen wartet sie, bis die Frau auf dem Plakat etwas sagt, gerade so, als dürfe man jederzeit damit rechnen, dass Plakatmenschen ein Gespräch beginnen. Die Frau auf dem Plakat jedoch, sie bleibt stumm, lacht lediglich ihr zufriedenes Lachen und blickt Geneviève ungerührt in die Augen. Sekunden verstreichen, summieren sich zu Minuten, und die beiden Frauen sehen sich schweigend an, während der Bus sich von Station zu Station quält. Genevièves Haltestelle ist längst vorbei, doch sie sitzt noch immer auf ihrem Platz im Bus, den Blick auf die Frau auf dem Plakat gerichtet. Erst als der Busfahrer verkündet, dass er nun Feierabend machen und sein Fahrzeug zum Busdepot bringen werde, steigt Geneviève aus. Sie geht durch die abendliche Stadt, den beleuchteten Straßen entlang bis nach Hause. Sie ruft ihre Eltern an, erzählt nichts von der Busfahrt, aber sagt ihnen, dass sie froh sei, dass sie da seien. Sie hängt den Hörer auf, geht ins Badezimmer, zieht sich aus und betrachtet sich im Spiegel. Sie hat den Eindruck, dass ihr Körper, der sonst stets in Bewegung scheint, seltsam ruhig im Raum steht. Sie stellt sich unter die Dusche, wäscht den Schmutz des Tages von der Haut. Dann legt sie sich ins Bett und schläft ein.

*schmunzel*, ein Wunder geschah
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Magie, ein Wunder… oder vielleicht auch nur Übermüdung, wer weiss 😉
Vielen Dank dir fürs Lesen, liebe Bruni, und herzliche Grüsse…
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Übermüdung? Ne, ne,da gefällt mir Magie schon besser, lieber disputnik 😊
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Umso schöner, liebe Bruni…
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Magie ☺
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Ja… 🙂
Vielen Dank dir fürs Lesen, lieber Finbar, und herzliche Grüsse…
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Dankeschön, lieber Disputnik,
hab einen magischen Tag! 🤡
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