Natürlich sind Frauen auch nur Menschen, sagt er. Aus dem Zusammenhang gerissen ließe sich seine Aussage vielleicht sogar als relativierendes, positiv gemeintes Verdikt deuten, wenn man denn unbedingt möchte. Aber der Zusammenhang ist da, er ist unvermeidlich. Denn vor und nach diesem Satz bezeichnet er Frauen wahlweise als dumm, einfältig, hysterisch, billig oder fies; er findet, man könne Frauen nur für einige spezifische Dinge gebrauchen, und ja, er nennt die Dinge, und ja, er sagt gebrauchen. Am Ende erklärt er, dass er eine richtig gute und schmackhafte Pizza einer Frau jederzeit vorziehen würde.
Die meisten lassen ihn reden. Längst nicht jeder teilt seine Meinung. Einige nicken zwar zustimmend, doch viele verdrehen die Augen, wenden sich ab, meiden seine Gesellschaft. Aber eben, sie lassen ihn reden. Auch als er im italienischen Restaurant sitzt und seine Pizza Salami isst, schwadroniert er wieder. Er nimmt abwechselnd ein Stück Pizza und Wörter wie Ficken, Fotze, Schlampe und Titten in den Mund, zerkaut alles zu einem öden Brei. Die drei Personen, die mit ihm am Tisch sitzen, tun das, was die meisten tun; sie lassen ihn reden. Sie lachen bisweilen gequält, sehen sich unsicher um oder starren angestrengt auf ihre Teller.
Francesca hat sich schon in der Schule nichts gefallen lassen, hat sich den Rüpeln und fiesen Kerlen entgegengestellt und einige von ihnen sogar verprügelt. Heute prügelt sie sich nicht mehr, heute ist sie eine selbstbewusste Frau, studiert an der Universität und hilft nebenbei ihrem Vater Luigi in dessen Restaurant aus. Sie behandelt Gäste so, wie sie es gewohnt ist, Gäste zu behandeln, es fällt ihr leicht, freundlich zu sein.
Die ersten dummen Sprüche quittiert sie mit einem milden Lächeln. Dann versucht sie, seine Worte einfach zu ignorieren, lässt sich nicht auf Provokationen ein. Schließlich kann sie sich aber nicht mehr zurückhalten und stellt ihn energisch zur Rede, lässt einen veritablen Wortschwall auf ihn niederprasseln. Seine Widerrede ist reichlich unbeholfen, seine Argumentation beschränkt sich auf markige Sprüche ohne wirkliche Substanz, und beinahe wirkt er wie eine Parodie, klammert sich verzweifelt an seine Überzeugungen und sondert verbalen Giftmüll ab. Francesca hört zu, reagiert mit klaren und nachvollziehbaren Argumenten, stößt bei ihm aber selbstredend auf taube Ohren. Nachdem er sie als dumme Nutte bezeichnet hat, vermag sie ihr Temperament endgültig nicht mehr zu zügeln. Sie schleudert ihm eine letzte vernichtende Charakterisierung entgegen, hebt dann die gefüllte Karaffe hoch und leert das gesamte Wasser über seinem Kopf aus. Sie lächelt ihn kurz an und genießt sein dümmliches Gesicht, dann geht sie mit der leeren Karaffe in die Küche, während er zu brüllen beginnt.
Nach einer Minute kommt Francescas Vater Luigi an den Tisch. Er hat die Karaffe wieder gefüllt, stellt sie jedoch nicht hin. Mit ruhiger Stimme fragt er, ob etwas nicht in Ordnung sei. Er hört sich die Antwort an, zuckt nur leicht mit den Lippen. Einige Sekunden später geht Luigi mit der leeren Karaffe in der Hand zurück in die Küche und ist einmal mehr sehr stolz auf seine Tochter, womöglich noch stolzer als sonst.

Schrecklich, solche Typen, die es ja leider zu oft gibt.
Wie ich wäre, würde ich einem begegnen? Hoffentlich zur Abwechslung auch mutig und schlagfertig … Schweigen hilft hier nicht
Wasser war noch viel zu wenig und Rotwein für solche Schmierfinken zu wertvoll …
Verbaler Mißbrauch, der nachhaltige Strafe verdient
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Vielleicht ja vom güngstigen Hauswein? Rotwein gibt hübsche Flecken, so als Mahnmal… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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Ja,den werde ich nehmen und mit Genuss schütten…
Aber ob es hilft?da hab ich große Zweifel
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Es wär einen Versuch wert… Schönen Sonntag dir, liebe Bruni!
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Ich frage mich bei solchen Leuten immer, was denen widerfahren sein muss, dass sie so geworden sind. Es muss furchtbar sein, so einen Hass in sich zu tragen. Was absolut keine Entschuldigung für gar nichts ist. Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, ihm die Karaffe auf den Kopf zu kippen, aber das hatte er mehr als verdient. Aber so wie diese Menschen sich in ihrer hasserfüllten Art verstricken und alle Menschen wegekeln und nichts als Wut und Verachtung auf sich ziehen und verteilen können sie einem auch irgendwie leid tun.
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Leid tun können sie mir nicht wirklich. Natürlich hat der Hass und die Respektlosigkeit eine Wurzel, eine Ursache. Aber eben, es kann höchstens Erklärung, aber nicht Entschuldigung sein, denke ich, da hast du recht… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Sehr gut! Das mit dem Wasser hätte ich vermutlich bei meinem Temperament schon viel früher gemacht. Oder Bier.
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Sehr gut, dann Prost…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Je länger ich drüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass ich ihm die Karaffe auf den Kopf gehauen hätte, statt das Wasser auszugießen 🙂 Sorry, ich kann bei meinem Temperament oft nicht an mich halten.
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So eine mysoginische Morgengeschichte. Und welche Tochter wünscht sich nicht einen solchen Vater, der sie stark macht statt runter? Oft genug sieht die Wirklivhkeit anders aus. Für manche sind Frauen in erster Linie Triebabfuhr und setzen Sex gleich mit einem guten Kaffee oder einem Stück Pizza. Ich finde das viehisch – aber viele sind so und am allerschlimmsten finde ich nicht mal die, die das offen zeigen, denn denen kann manfrauegal noch vor die Hufe treten, doch es gibt welche, die so denken und eine solche Denke mit Liebe stigmatisieren. Die strategischen Subtilen, die einen schnellen Fickkick suchen, reden immer besonders viel von Liebe und Gefühl. Geh mir los mit den ‚Frauenverstehern‘, die sind noch schlimmer als die Vollprolls mit den Höhlenideen. Ich fuhr mal Fahrstuhl im Gericht mit zwei Anwälten, die Robe überm Arm. Das Ding blieb stecken zwischen zwei Stockwerken. Ich war zwanzig, sommerlich angezogen, ReNo-Gehilfin auf Gerichtsbotengang. Die beiden Anwälte erzählten sich einen Schneckenwitz, der so eklig war im Zusammenhang mit Frauen, dass ich feuerrot wurde. Die beiden lachten, ein Riesenspaß. Ich war weder schlagfertig noch wütend, nur traurig über so viel Verächtlichkeit und so wenig Respekt. Sie sahen nett aus, doch innen waren sie schäbig und plump. Ich konnt nicht gut reden, der quarkige Ekelklops würgte mich zu sehr. Ich hatte auch keinen Superspruch parat, ich war weder tough noch schlagfertig, nur betroffen von so viel Geistlosigkeit.
Würde mir so etwas heute passieren, fände ich Worte. Auch ohne einen Vater, der darauf stolz wäre.
Es sollte mehr Väter von der Sorte wie Deinem geben.
Morgengrüße von der Fee✨
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Die Respektlosigkeit tarnt sich manchmal ziemlich gut, versteckt sich mitunter in eleganten Anzügen oder in harmlos wirkenden Gesichtern… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und fürs Teilen/Mitteilen deiner Geschichte und für deine Worte, liebe Fee…
Herzliche Morgengrüsse zurück!
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Ich weiß, es gibt solche Typen, die Frauen nur „gebrauchen“, sie sind absolut widerwärtig.
Das Wort „gebrauchen“ ist nicht weit weg von „missbrauchen“, und Frauen als Mann zu missbrauchen ist einfach ganz furchtbar.
Obwohl genau das tagtäglich weltweit geschieht, durch erbärmliche, kranke, kriminelle Männer.
Fein geschrieben, wie stets, lieber Disputnik,
herzliche Sommersonnengrüße vom Finbar
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Ohja, es gibt sie, diese Typen, viel zu häufig, viel zu heftig, überall…
Vielen Dank dir, lieber Finbar, und herzlichste Sommersonnengrüsse zurück!
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Auf so eine Tochter kann man wirklich stolz sein 🙂
Es bleibt die Frage, ob der „er“ der Geschichte vielleicht in der Lage gewesen wäre, sich zu ändern, wenn mehr Leute und früher und öfter etwas gesagt hätten? Ob dann vielleicht das Wasser nie nötig gewesen wäre? – In jedem Fall war es an dieser Stelle angebracht.
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Ich befürchte, dass gewisse Eigenheiten mitunter doch sehr tief verwurzelt sind… Aber ja, früher und öfter etwas sagen ist sowieso gut, schafft zumindest Raum für eine Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Thema, selbst wenn es nicht viel bewirken sollte…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken!
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