Die Menschen sind aus der Welt gewischt, da sind keine Kinder und keine Eltern und keine Senioren mit künstlichen Hüftgelenken, da sind nur erstaunlich viele Vögel, vor allem Krähen, auch einige Amseln und Spatzen, und da ist ein Trampolin, scheinbar schlafend in der Stille, wie ein paralysierter Riese im hohen Gras. Spielplätze und Schaukeln und Rutschbahnen und auch Trampoline, sie wirken mitunter seltsam erhaben, zugleich melancholisch und anmutig, wie Denkmäler, beinahe kunstvoll. Je nach Licht und Witterung erinnern sie gar an Fabelwesen, skurrile Gestalten aus merkwürdigen Geschichten.
Sie tritt nahe an das Trampolin heran, betrachtet die Metallfedern, die für die notwendige Spannkraft sorgen, und das stramm gezogene Sprungtuch in der Mitte. Beinahe ängstlich sieht sie sich um, lauscht auf Geräusche, achtet auf Bewegungen, um sich zu vergewissern, dass sie keine Gesellschaft hat.
Dann betritt sie vorsichtig das Trampolin, prüft die Spannung, beugt die Knie leicht. Sie weiß nicht, wann sie zum letzten Mal auf einem Trampolin stand; es ist Jahre her, Jahrzehnte, Furchen in der Haut, Splitter in den Ecken der Zeit. Sie sucht nach dem Mädchen in ihrem Innern, doch sie findet nur alte Fotos von sich, und auf keinem dieser Fotos springt sie auf einem Trampolin. Sie verspürt ein gewisses Unbehagen, eine unbekannt Furcht davor, was geschehen wird.
Als sie zum ersten Mal abhebt, wandelt sich das Unbehagen in eine leichte Panik, die aber von kurzer Dauer ist. Mit jedem Auftreffen und Abspringen löst sich ihre Anspannung, der Kontrollverlust verliert den Schrecken. Sie fliegt immer höher, bleibt immer länger in der Luft. Die Amseln und Spatzen scheinen ihre Begeisterung nicht nachvollziehen zu können, legen nur ihre kleinen Köpfe schräg und schauen zu, wie sie springt. Die Krähen krähen, doch sie hört sie nicht. Sie springt und springt, und mit jedem Sprung entledigt sie sich vom Ballast der Zeit. Sie springt und springt, und mit jedem Sprung wird sie jünger. Sie springt und springt, und schließlich hört sie auf. Sie steigt vom Trampolin, wirft einen letzten Blick auf die Amseln und Spatzen. Dann kriecht sie zurück in den Mutterbauch, hinein in die Wärme.

Eine gute Geschichte, die mich an leicht an Das Licht der letzten Tage von Emily St. John Mandel erinnert, nachdem die letzten Menschen nach einer Pandemie ein Museum einrichteten mit Gegenständen, in denen alles noch *normal* war .
Das Ende Deiner Geschichte ist ein Meisterstreich, lieber Disputnik
Liebe Grüße von Bruni
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Museen sind sowieso wunderbare Gefässe für Erinnerungen; bei uns in der Nähe gibt’s ein Museum, das die Lebensgeschichten von Menschen sammelt und somit konserviert…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse zurück…
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Ich hätte mit meinem einzigen Trampolinerlebnis im zarten Alter von 48 Jahren nicht in den Mutterbauch zurück gehört, sondern zum Arzt, der einen gebrochenen Zeh, einen gestauchten Zeh am anderen Fuß und eine gestauchte Halswirbelsäule hätte behandeln müssen – ich bin in die Federn gekommen. – Ging aber auch ohne Arzt, denn es war auf einer Gruppenrundreise in Holland.
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Oha, das klingt schmerzhaft, deine Trampolinpremiere! Ich hoffe, die Wunden sind wieder verheilt.. Vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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Das war ja schon 1993. Ich brauchte für die restliche Fahrradtour immer rechts und links einen Begleiter, weil ich den Kopf nicht drehen konnte. Das hätte wirklich schief gehen können
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Gut, dass die Begleiter auf dich aufgepasst haben!
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