Er weiß nicht, ob er gerade erst aufgetaucht ist oder schon immer da war. Er weiß nicht, woher er kommt und weshalb er genau an dieser Stelle liegt. Aber er ist da, grob und kantig, groß und stumm. Es ist nur ein Felsbrocken, sagt er sich. Nur ein Felsbrocken. Nur ein Felsbrocken.
Zu Beginn macht er sich keine großen Gedanken. Der Felsbrocken stört nicht, er ist einfach präsent, ist ein Teil des Waldes, den er vor lauter Bäumen doch noch deutlich sehen kann. Zwar ist er durchaus ein Hindernis, versperrt den Weg, aber er kann ganz einfach um ihn herumgehen. Ganz einfach. Ganz einfach. Er fragt sich mitunter, ob und wie die Dinge wieder einfacher werden, nachdem sie kompliziert geworden sind.
Der Felsbrocken wird größer, dehnt sich in alle Richtungen aus, obwohl sich seine Abmessungen nicht verändern. Er wächst und wächst, und weil er es tut, raubt er immer mehr Licht und Luft im Wald. Er wird kurzatmig, presst häufiger die Augen zusammen. Der Felsbrocken wächst weiter. Nur ein Felsbrocken. Nur ein Felsbrocken. Er weiß nicht, ob er sich je geglaubt hat.
An mehreren Stellen bilden sich allmählich Moosflächen, legen sich wie ein Teppich über die schroffen Kanten, gaukeln eine Weichheit vor, die keine ist. Er streichelt das Moos und schneidet sich prompt an den darunterliegenden Ecken die Haut auf. Er steckt den Finger in den Mund. Das Blut schmeckt nach nichts. Nur ein Felsbrocken. Nur ein Felsbrocken.
Er versucht, den Felsbrocken zu erklimmen, scheitert aber immer wieder, stürzt auf den kalten Waldboden. Als es doch noch gelingt und er auf dem Felsbrocken steht, ist da kein Triumph im Gefühl, kein Stolz. Er hat mehr Angst und weniger Mut als zuvor, und bevor er überlegen kann, was das bedeuten könnte, geben die Knie nach und er stürzt ein weiteres Mal hinab. Nur ein Felsbrocken. Nur ein Felsbrocken. Er glaubt nicht, dass er sich je geglaubt hat.
Der Felsbrocken ist nun so groß, dass er die ersten Bäume überragt. Einzelne Stämme knacken, das Holz ächzt. Das Licht schwindet, die Luft wird dünn und knapp. Er versucht, um den Felsbrocken herumzugehen, wie früher, doch es gelingt nicht mehr. Er prallt lediglich auf den kalten Stein, holt sich Schrunden und Wunden, mehr erreicht er nicht. Nur ein Felsbrocken. Nur ein Felsbrocken.
Schließlich fällt er hin und starrt in das kalte Schwarz, der Felsbrocken nimmt alles ein. Als er erwacht, braucht er wie so oft einige Sekunden, um zu begreifen, wo er liegt und wo er zuvor war. Es war nur ein Traum, sagt er sich. Nur ein Traum. Nur ein Traum. Er atmet möglichst langsam, um sich zu beruhigen. Er schaltet das Licht ein und blinzelt in den Raum. Kein Felsbrocken ist zu sehen. Kein Felsbrocken. Kein Felsbrocken. Doch er weiß, dass er nicht verschwunden ist. Er liegt weiterhin im Wald. Und wartet. Und wartet. Und wartet.
das kenne ich auch gut, meine Fantasie gaukelt mir da auch so einiges vor 🙂
Aber die Text, die Du dann daraus entwickelst, sind noch mal eine Sache für sich – eine sehr gute und auch sehr eigenwillige
Liebe Grüße ins Wochenende von Bruni
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Vielen Dank dir für deine Worte, liebe Bruni! Herzliche Grüsse und schönes Wochenende dir…
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Huuuuuuuuuuh, bei diesem grausligen Felsbrockenfoto muß einem so ein Text ja einfallen, falls man schreiben kann wie Du, lieber Disputnik.
Ein Felsbrocken für eine Horrorvorstellung, die Dir außerordentlich gut geglückt ist, obwohl´s ja nur ein Felsbrocken ist, ein Felsbrocken ist, von dem Du schreibst … Aber was für einer …
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Jaha, mitunter entwickeln solche Felsbrocken – oder andere Hindernisse – ein gewisses Eigenleben, das sich jeglicher Kontrolle zu entziehen scheint…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni, und herzliche Grüsse…
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