Ich wäre ein schlechter Vergewaltiger, sagt er, unaufgefordert, und das ist befremdend. Wenn jemand explizit danach gefragt wird oder sich ein Gespräch in diese Richtung entwickelt, ist eine solche Aussage wohl zumeist spontan und unüberlegt, unreflektiert. Wer diese Wörter jedoch ohne konkrete Aufforderung seinem Mund entweichen lässt, hat sie zuvor offensichtlich bereits sortiert und zurechtgelegt, hat sich Gedanken gemacht, und es ist zumindest verwirrend, wenn sich jemand mit der Frage auseinandersetzt, ob er ein guter Vergewaltiger sein würde oder nicht. Seine Antwort ist zwar beruhigend, aber nicht sehr.
Ja, ich wäre ein schlechter Vergewaltiger, wiederholt er. Zunächst bräuchte ich wohl eine Art Vorspiel, um überhaupt in Stimmung zu kommen, ich kann nicht einfach so, von null auf hundert. Allerdings wäre ein Vorspiel bei einer Vergewaltigung sehr deplatziert. Außerdem würde ich die Frau wohl immer wieder fragen, ob alles in Ordnung sei, ob es schön für sie sei. Wahrscheinlich würde ich ihr sogar mittendrin sagen, dass ich sie liebe. Und wer gerade vergewaltigt wird, will sich kaum mit Fragen zur Qualität des Vorgangs auseinandersetzen oder sich mit einer Liebesbekundung befassen müssen. Man ist sich nicht sicher, ob er das Thema mit seinen Ausführungen der Lächerlichkeit preisgeben will oder ob ihn die Schrecklichkeit des Gedankens, eine Frau zu vergewaltigen, beunruhigt und überfordert. Er schaut in die Welt, wirkt zum Teil erleichtert und zufrieden mit sich, zum Teil aber auch ziemlich traurig.
Man mag die Situation nicht besonders, man überlegt hastig und stottert dann eine haarsträubende Erklärung, warum man sich nun sofort zu verabschieden habe; man müsse noch eine Glühbirne für den Kühlschrank besorgen, jene zu Hause sei defekt und man könne nicht mehr erkennen, welche Joghurtsorten noch zur Auswahl stünden. Man sagt Adieu und geht tatsächlich eine Glühbirne für den Kühlschrank kaufen, um der notgedrungenen Lüge eine wenig Gewicht zu nehmen. Und während man nach Hause geht, befasst man sich mit der Frage, ob man eine Frau vergewaltigen könnte.
Die Antwort ist einfach, und eigentlich müsste man sich die Frage gar nicht stellen. Trotzdem bleibt die Thematik präsent; man weiß um die ungefähre Häufigkeit sexueller Übergriffe, man bedenkt auch die große Dunkelziffer und ist ein weiteres Mal schockiert darüber, wie viele Männer auf die Frage, ob sie eine Frau vergewaltigen könnten, ganz offensichtlich mit Ja antworten würden. Man denkt an andere Verbrechen, erörtert das eigene Gewaltpotenzial, man fragt sich, ob man jemanden ermorden könnte und welche Umstände dazu führen würden, dass man es zumindest in Erwägung ziehen würde. Man überlegt, wie man von sich selbst denken würde, wenn man in der Lage wäre, ein Gewaltverbrechen zu begehen; wie man von sich selbst denken würde, wenn man in der Lage wäre, eine Frau zu vergewaltigen. Schließlich wischt man die Gedanken weg, versucht es zumindest, während die Finger in der Jackentasche die kleine Glühbirne für den Kühlschrank umklammern.
Zu Hause ersetzt man die Glühbirne im Kühlschrank, obwohl sie eigentlich noch funktioniert, dann erzählt man von irgendwelchen Banalitäten des Tages, und irgendwann verstummt man kurz. Ich wäre eine schlechter Vergewaltiger, sagt man, unaufgefordert. Und schaut in die Welt, wirkt wohl zum Teil erleichtert und zufrieden mit sich, zum Teil aber auch ziemlich traurig.

Du kennst Dich mit diesen speziellen Glühbirnchen gut aus, lieber Disputnik 🙂
Was für seltame Worte, was für eine Frage. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Es muß ein urzeitliches *Gefühl* sein, was da durchbricht. Auch hier geht es um Gier …
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Ich denke, ich könnte nicht ausschliessen, dass ich in einer Extremsituation in der Lage wäre, einen Menschen zu töten; ich weiss es nicht. Bei einer Vergewaltigung bin ich mir sicher, dass ich nicht dazu fähig bin. Und manchmal frag ich mich, was in einem Menschen vorgeht, der so etwas tun kann… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken, liebe Bruni… Herzliche Grüsse!
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Ich verstehe es nicht,lieber Ralf, es geht über meinen Horizont.
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Da bin ich froh, liebe Bruni..
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Was alles in uns verborgen liegt,davon wissen wir herzlich wenig..
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Eine Geschichte, die nachdenken lässt. Auch darüber, woher der Erzähler wohl einfach so weiss, welche Art von Glühbirne er für seinen Kühlschrank benötigt.
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Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
Und übrigens: Lampensockel E14 mit 15W
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