Manchmal, wenn niemand sie sehen kann, baut sie aus ihrer Bettdecke und den Kissen eine Festung. Sie macht sich klein, ganz klein, wie ein Fötus. Dann liegt sie da, in der dumpfen Stille unter der Decke, wie damals als Kind. Irgendwann wird die Luft knapp, und sie kommt wieder aus ihrem Versteck, die Haut im Gesicht heiß und feucht.
Bei einem Spaziergang trifft sie eine Freundin aus längst vergangenen und verblassten Zeiten. Sie unterhalten sich, sie erinnern sich, sie lachen, und obwohl sie sich über das Wiedersehen freut, blickt sie seltsam verständnislos in das Gesicht ihrer Freundin, sucht darin nach der alten Vertrautheit und den Zeichen der Zeit. Als sie sich verabschieden, bleibt sie verunsichert zurück, fühlt sich betrogen.
Wenn sie miteinander schlafen, bemüht sich ihr Mann, möglichst zärtlich und zugleich leidenschaftlich zu sein. Das tat er schon immer, und schon immer merkte sie ihm das Bemühen an, doch es störte sie bisher nicht sonderlich. Heute ist es ihr bisweilen unangenehm. Sie ertappt sich manchmal dabei, wie sie während dem Sex an ihr Fahrrad denkt oder daran, eine neue Regenjacke zu kaufen. Sie fragt sich, ob ihr Mann mit seiner alten Regenjacke noch zufrieden ist.
Sie geht nach wie vor in die gewohnten Modegeschäfte, und nach wie vor sucht sie in der Abteilung für junge Mode nach neuen Kleidern, obwohl sie schon seit längerer Zeit immer weniger findet, das ihr gefällt. Die Hosen sind merkwürdig geschnitten, die Röcke zu kurz oder zu lang, die Farben viel zu grell, die Shirts entweder zu eng oder zu weit. Sie blickt sich um, sieht die jungen Frauen, beinahe noch Mädchen, ganz zart und grob zugleich, unbedacht und fremd. Vorsichtig späht sie den Laden nach älteren Menschen aus und ist erleichtert, als sie eine Frau erblickt, die zweifellos älter ist als sie selbst. Zwar wirkt sie ein wenig verloren, diese Frau, ein Fremdkörper im Raum, aber sie ist hier, und irgendwie wirkt ihre Anwesenheit tröstend. Als sie feststellt, dass die Frau offensichtlich mit ihrer Tochter unterwegs ist, senkt sie den Blick und eilt aus dem Laden.
Sie zieht ein Sommerkleid an und geht an den nahen Fluss, setzt sich auf einen Stein am Ufer und lässt die nackten Füße ins Wasser hängen. Sie summt ein Lied, das sie schon kannte, als sie noch ganz klein war. Während sie am Fluss sitzt, bemerkt sie, wie hinter ihr auf der schmalen Wiese ein kleines Mädchen auftaucht. Vielleicht war es auch schon vorher da, sie weiß es nicht. Das Mädchen summt ein Lied, eine allzu bekannte Melodie. Es hüpft und springt, es schlägt ein Rad, dann noch eines. Sie möchte sich zum Mädchen umdrehen, möchte es ansehen, möchte ihm zusehen bei seinem Spiel. Doch sie tut es nicht. Sie starrt geradeaus, mit zitternden Lippen. Der Fluss vor ihren Augen trägt einen abgebrochenen Ast vorüber und immer weiter. Sie klammert ihren Blick an den Ast, treibt mit. Bis er nicht mehr zu sehen ist.
Die Zeit vergeht und irgendwie macht es ihr Kummer, weil sie erkennt, wie die Jahre, eines nach dem anderen, vergangen sind und sie fühlt sich nicht mehr so recht wohl in ihrer Haut, baut, wie als Kind schon, ihre kleine Höhle aus der Bettdecke und verkriecht sich ein Weilchen, doch dann drängt es sie in die nach und nach kälter werdende Luft zurück .
Sie fühlt sich vom Leben nicht aufgefangen, sondern ins Abseits gedrängt, abgehängt …
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Wie schön weitergedacht und weitergefühlt von dir, liebe Bruni… Vielen herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine feinen Worte… Liebe Grüsse!
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