Sein Leben war gar wunderlich wunderbar, es gab nichts, woran ihm mangelte, sowohl in materieller als auch in immaterieller Hinsicht war er mit nahezu grenzenlosem Reichtum gesegnet, und selbst die kühnsten Träume und Sehnsüchte waren bei ihm lediglich Vorboten einer Realität, die sich früher oder später manifestieren und dabei die besagten Träume und Sehnsüchte an Pracht mitunter deutlich übertreffen würde; er hatte eine wunderschöne und kluge und warmherzige und humorvolle Frau und zwei wunderschöne und kluge und warmherzige und humorvolle Kinder und einen wunderschönen und klugen und warmherzigen und humorvollen Golden Retriever, und obwohl er alles besaß, was man sich zu wünschen auszudenken vermochte, war da diese gewisse Demut und Bescheidenheit in seinem Wesen, weshalb ihn die Leute nur noch mehr respektierten und schätzten, und ja, er war sehr zufrieden und sehr froh und sehr glücklich und sehr liebevoll und sehr dankbar und sehr erfüllt, alles war gut, sehr gut sogar, und dann starb er sehr plötzlich, erschlagen von einem herabfallenden Klavier, und dann war von einer Sekunde zur anderen nichts mehr gut, er war tot, er blieb tot, und er riss ein großes Loch in die Welt, die er zu bewohnen und beleben pflegte, und seine Frau und seine Kinder haben seither Schmerzen beim Lächeln und Lachen, und auch jene junge Frau ist traurig, die in einem Zug sitzt und seine Geschichte soeben in einem Magazin gelesen hat, wobei es nicht einfach nur sein Ableben ist, das ihr Tropfen in die Augenwinkel treibt, sondern vor allem der dicke Klumpen in ihrem Hals, der sich anfühlt wie ein scharfkantiger Stein, und sie versucht, ihn hinunterzuschlucken oder herauszuwürgen, doch es wird nicht gelingen, sie weiß es, und sie weiß auch, warum der scharfkantige Stein in ihrem Hals steckt, und eigentlich braucht sie keine tragische Geschichte über einen glücklichen Mann, der alles hatte und dann einfach starb, um zu erkennen, dass sie zwar noch atmet, aber nicht wirklich mehr Leben in ihr trägt als der Körper jenes Mannes, der gerade irgendwo in einem hübsch gepflegten Friedhof zu vermodern beginnt, und sie versteht nicht, warum er sterben musste, obwohl er sein Leben liebte, während sie leben muss, obwohl sie gar keine Lust darauf hat, und einen Moment lang gibt sie dem ehemals Überglücklichen die Schuld an ihrer Misere; als ob er alles Glück in seinen Hamsterbacken gehortet und ihr nichts übriggelassen hätte, doch sie weiß, dass dies nicht stimmt, und das macht sie nur noch missmutiger; sie weiß gar nicht, wie oft sie sich selbst bereits stumm angebrüllt hat, vor dem Spiegel im Badezimmer, sich immer wieder gefragt hat, wo eigentlich ihr Problem liege, denn tatsächlich gibt es nichts, was sie nach unten zieht, nur ihre eigene Schwere, und obwohl sie selbst immer weniger wiegt, wird das Zerren immer stärker, die Farbe entweicht aus ihrer Haut, die Wärme entweicht aus ihrem Fleisch, und als sie im Zug sitzt und sich umsieht, liest sie in den fremden Gesichtern ungemein tragische Geschichten, Episoden voller Trauer und Verlust und Krankheit und Entbehrung, und sie wendet ihr Gesicht ab, weil sie zu wissen glaubt, dass niemand darin lesen mag, schließlich gibt es darin nichts Lesenswertes, keine Tiefen und Untiefen, keine Dramen, nur diese lähmende Traurigkeit, die kaum Ursachen kennt und sich wohl auch darum kaum vertreiben lässt, und dann hält der Zug an, und sie steigt aus und geht durch die Gassen der Stadt und blickt unentwegt nach oben, aber nirgends hängt ein Klavier über ihrem Kopf; und wer sie kennt, nur ein wenig, nur an der Peripherie, denn richtiges Kennen scheint kaum möglich, wem sie also bekannt ist, der macht sich Gedanken, man macht sich Sorgen, manchmal würde man sich gerne hinstellen und die warme Schulter zeigen, zum Anlehnen einladen, man würde gerne zuhören, aber man wagt nicht, sich zu nähern, man wahrt einen Abstand, denn man will ihr nicht zu nahe treten, obwohl man doch ahnt, dass es nur über Nähe funktionieren kann, das Helfen, aber die Nähe gelingt nicht, es bleibt beim Verweilen in einer gewissen Distanz, manchmal noch sorgenvoll, dann wieder verdrängend und vorübergehend vergessend, man denkt immer wieder an sie, man nährt die Hoffnung, so gut wie möglich, man fragt sich, wie es ihr geht, wo sie steht; man hört immer wieder dieses Klavierstück, irgendetwas von Arvo Pärt, ganz fein und sanft, wie ein heller, leicht nebliger Morgen im Frühling, jeder Ton ein Pinselstrich, jeder Klang eine eigene Farbe im gesamten Gemälde, und dann kommt die Nachricht, der Gedanke im Hinterkopf wird zur Realität, die Angst wird Gewissheit, sie ist tot, sie hat offensichtlich doch noch ein Klavier gefunden, das krachend auf die Straße stürzte und sie unter sich begrub, ihren schmalen bleichen Körper und alle Töne, alle Pinselstriche ebenso, und dann steht man draußen, weil es drinnen zu eng ist; die Luft ist kalt und frisch, der Nebel schleicht um die Bäume und verschlingt alle Geräusche, nur die rauschende Ohnmacht dröhnt in den Ohren, und man starrt ins Leere, in den Himmel, in die grauen Schwaden, dann blickt man auf den Boden, auf einen scharfkantigen Stein, der neben der Wiese liegt; man hebt ihn hoch und dreht ihn in den Händen, lässt die Finger über die schroffe Oberfläche gleiten, über die Winkel und Ecken stolpern, und schließlich holt man aus und schleudert den Stein fort, so weit weg wie möglich, und man schaut ihm nach, wie er fliegt, immer weiter, und als er dann endlich auf den Boden prallt, ist nichts zu hören, kein Ton, alles bleibt still, gerade so, als wäre der Stein gar nicht aufgeprallt, und man denkt, wie es klingen würde, das Klavier, wenn es noch ganz wäre, doch alles, was man hört, ist die Ohnmacht, diese verdammte rauschende Ohnmacht.

Ich habe den Nils Frahm gepostet mit Dank und einem Linkwinkdings zu Deinem Blog. Wollte diese schöne Musik gern mit anderen teilen, die sie noch nicht kennen.
Ich wünsche Dir eine gute Zeit.
Liebe Grüße✨
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Ich danke dir sehr herzlich. Eine wundergute Zeit dir! Und liebe Grüsse…
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Hm…
gottlob fallen nur in Geschichten von dir und Filmen Klaviere vom Himmel und erschlagen dann zudem noch glückliche Menschen *lächel*
What a pleasant Story, so nicely written…
Herzliche Frühlingsgrüße vom Finbar
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Ja, vor Klavieren sind wir in der Regel ziemlich sicher…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und deine Worte, lieber Finbar…
Herzliche Frühlingsgrüsse zurück…
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Nur wenn der Himmel sie abregnet, lieber Disputnik!
Sind sie dann mal sicher auf der Erde gelandet, ohne einen Menschen platt zu machen, dann ziehen sie mich wie magisch an:
https://finbarsgift.wordpress.com/2016/03/22/armer-strassenmusikant/
Bonjour lieber Schreibfreund!
Liebe Morgengrüße vom Lu
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Ein Klavier, ein Klavier…(Loriot)😉
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*lächel*
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Von dem glücklichen Menschen, der so unglücklich starb ließ ich mich zur Frau führen, die nicht versteht, warum sie ihr Leben leben darf, das so unglücklich ist und der Mann, der glücklich war, sterben musste. Wenn ich nun diese Kette gedanklich logisch umkehrschließend weiterspänne, müsste eigentlich am Ende alles gut werden…und die unglückliche Frau am Ende glücklich sterben. Wäre dies nicht richtiger? Doch ist eben dies die Unlogik des Lebens und eine Bestätigung, dass nicht jeder Umkehrschluss funktioniert, weil manchmal das Schicksal ein Klavier vom Himmel fallen lässt. Noch einen sehr herzlichen lieben Dank für Arvo Pärt. Ich hörte gestern auf youtube sehr viel von ihm, kannte ihn nicht. Bildungslücke! Habe ich direkt nachgeholt und bin eingetaucht in seine außergewöhnliche Musik. Würde ihn gern demnächst mal mit Sueno de Angelo posten und auf Deine Geschichte hinverweisen, wenn ich darf. Um zu zeigen, wie schön das sein kann, wenn man durch Geschichten eine tolle Entdeckung macht. Du hast wirklich einen sehr ausgefallenen Musikgeschmack. Gefällt mir. Ich lese Deine Geschichten sehr aufmerksam.
Liebe Morgengrüße von der Fee
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Hmmja, das Leben ist nicht immer logisch, nicht immer nachvollziehbar, und manch fallendes Klavier lässt einen ohnmächtigen Nachhall zurück…
Was Arvo Pärt betrifft, bin ich alles andere als bewandert, kenne höchstens ein paar Stücke. Was auf YouTube Sueño de Angel heisst, ist aber wohl das Stück Spiegel im Spiegel, sofern ich mich nicht irre; übrigens genau jenes Stück, das ich im Text meinte. Aber eben, wirklich Bescheid weiss ich keineswegs. Als musikalische Untermalung würde ansonsten auch noch Nils Frahm passen.
Und natürlich darfst du auf meine Geschichte verweisen, sehr gerne…
Danke dir, fürs Lesen und für deine Worte… Herzliche Grüsse zurück…
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Oh, ist der Frahm schön! Danke, noch ein Schätzchen für einen Musikjunkie wie mich…gleich einverleibt samt dem zauberhaften Video.
Vom Arvo Pärt beeindruckt mich seine Vielseitigkeit. Einiges mag ich auch nicht oder aber eben total. Feine Ambivalenz, hab ich bei David Bowie und manch anderen auch. je tiefer der Eindruck umso intensiver die Faszination.
Bescheid wissen würde ich auch gern…ich verfüge über eine solide Halbbildung…na ja…;)
Demnächst kommt der Arvo. Ich bastele schon am Text. Quer zu Dir hin verweisend.
Bis dahin, hab Dich wohl,
Grüße von der Fee ✨
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Beeindruckend ist das Schaffen von Pärt zweifellos, doch mir sagen vornehmlich die reduzierten Stücke mit Klavier zu, wie auch bei Frahm… Dann freu ich mich auf deinen Text! Liebe Grüsse…
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So, ich war fleißig und habe den Text gepostet, der allerdings inhaltlich über die Musik in eine andere Richtung abdriftet. So unterschiedliche Wahrnehmungen löst die Musik aus. Ich mag auch lieber die reduzierten Stücke, habe ich schon festgestellt. Spiegel im Spiegel ist wunderschön. Und vom Frahm höre ich mir auch noch mehr an. Nochmal Dank und lieben Gruß…
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Schön, dass dich die Musik in jene Richtung driften liess… Ebenfalls nochmals lieben Dank dir und herzliche Grüsse…
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Liegt wohl an ihrer poetischen Natur und daran, dass ich unbedingt diesen Spaziergang endlich wortvertonen und verdichten wollte und nach einer passenden Musike suchte dafür und da kam mir der Arvo Pärt gerade passend kontemplativ-besinnlich des Weges daher…. 🙂
Ich danke ebenfalls und grüße herzlich zurück.
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und manchmal versteht man die Welt nicht mehr, versteht einfach nicht, wieso es dieser Kloß dahin schaffen konnte, wieso er nicht weicht und das Schlucken immer schwerer fällt…
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Ja, manchmal versteht man sie nicht, die Welt, und auch nicht die Menschen, und das Schlucken fällt schwer…
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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