Wenn er in den Keller geht, dann nicht zum Lachen, sondern meistens, um seine Stimmbänder zu trainieren. Es geht ihm nicht um Klangfarbe oder Intonation, das Timbre ist ihm egal, überhaupt ist er ein furchtbarer Sänger. Trotzdem arbeitet er an seiner Stimme, damit sie möglichst lautstark wird. Lautstärke ist alles, findet er.
Er sagt Dinge wie Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, doch eigentlich sagt er es nicht, er schreit es in die Welt, oder er schreibt es, und wenn er es schreibt, dann in Großbuchstaben, ganz laut, damit man ihn hört, wenn man liest, was er schreibt. Er ist das Volk, und die anderen, also jene, die nicht das Volk sind, die sind Dreckspack, und manchmal erzählt er etwas von Aufhängen und Abschießen und davon, dass man doch Auschwitz wieder aufmachen könne. Wenn er dann hört und liest, was andere laute Stimmen so brüllen, dann applaudiert er, ebenfalls sehr laut und heftig.
Sein Geschrei, es ist vielleicht nichts anderes als Angst, die ein hässliches Kleid trägt, oder aber eine Manifestation des Vakuums an jener Stelle, an welcher üblicherweise das Herz wohnt. Und doch, man wundert sich, wo diese Gedanken ihren Ursprung haben. Man fragt sich, ob jemand tatsächlich lieben kann, der in solcher Weise zu hassen vermag.
Wenn man ihn zur Rede stellt, wird die Stimme plötzlich leiser. Er sei halt wütend gewesen, und vielleicht habe er in der Nacht zuvor zu viel getrunken oder zu wenig geschlafen. Natürlich ist es nicht ganz so ernst gemeint, beteuert er. Das sagt man halt einfach so, ohne groß nachzudenken, findet er. Und man fragt sich, was er sagen würde, wenn er nachgedacht hätte.
Wenn er in den Keller geht, dann meistens, um seine Stimmbänder zu trainieren. Doch man kommt nicht umhin, sich zu überlegen, was er sonst noch machen könnte, in seinem Keller. Man denkt, dass er vielleicht trotzdem lacht. Dass er vielleicht tatsächlich nachdenkt, in Parolen und Großbuchstaben. Und dass es Dinge gibt, die lauter sind als alle Stimmbänder.

Angst sollten wir haben, sonst wissen wir bald nicht mehr, daß es das Fürchten gibt, begründete Angst sollten wir nie verlieren und wenn Herr Lautparolenbrüller die Fäuste schüttelt und ballt und in die Massen ruft, dann fürchte ich mich auch, weil ich weiß, soooooo lange ist es nicht her, daß da Schreier am Werk waren und Tote hinterließen sie auf Schritt und Tritt…
Ich denke, ich fürchte mich nicht unbegründet, wenn ich mich fürchte und ich werde meiner Angst nicht verbieten, das kleine Grauen anzuziehen, denn in was sie sich kleidet, ist vollkommen nebensächlich. Ihr Bauchgefühl ist mir wichtig.
Ich verstumme bei Schreiern und drehe mich in die Richtung, die weg von ihnen führt.
Manchmal hassen auch die am meisten, die innig lieben konnten, lieber Disputnik. Aus Ablehnung entsteht leider oft genug Hass und mancher Hassende will dann auch andere in den Schmutz treten, in dem er sich immer noch fühlt.
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Ja, die Wechselwirkung von Hass und Liebe ist auch so eine Geschichte, eine schwierige, vielschichtige.
Und die Angst, deine, meine, ja, sie ist wohl häufig begründet. Manchmal lähmt sie, manchmal erzürnt sie. Doch sie ist eben doch eigentlich auch sehr wichtig, oder? Angst kann uns warnen, macht uns vorsichtig, wachsam. Aber manchmal, bei manchen Menschen, führt Angst eben auch zu unguten Reaktionen, wird zu Ablehnung und Hass (ganz ohne Liebe). Und diese Reaktionen können dann ihrerseits wieder Angst machen.
Schwierige alte Tante, die Angst.
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken, liebe Bruni. Liebe Grüsse…
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ohja, eine schwierige Geschichte, die Angst, die ursprünglich zur reinen Selbsterhaltung vorhanden war und nun auch so laute Züge annehmen kann, falsche Töne anschlägt und uns zermürbt, wenn sie sich in Phobien äußert…
Tilgt sie die Liebe in unserem Leben, dann läuft etwas komplett falsch.
Ich bin sehr froh, daß ich sie nicht in diesem Maße fühle, aber sie ist auf der Hut *g*
LG von mir
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Auf der Hut sein sollten wir alle, aufmerksam, achtsam… Vielen Dank nochmals, liebe Bruni, und herzliche Grüsse zurück…
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Wer sehr laut schreit hat meistens untrecht…
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Aber er findet (leider) Gehör, vor allem bei jenen, die gar nicht sonderlich genau hinhören mögen… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Ich glaube mit der Angst triffst Du einen wichtigen Punkt: Die lästige alte Tante kann bei jedem Menschen unaufgefordert reinschneien, hat einen furchtbaren Modegeschmack und bleibt, solange es ihr passt. Bei klugen Menschen manchmal sogar länger als bei den dummen aus dem Keller. Und mit Vernunft ist ihr nicht beizukommen.Die gute ist wahrscheinlich eigentlich nicht hartherzig. Nur taub und extrem kurzsichtig.
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Ja, sie ist hartnäckig, die alte Tante Angst, kurzsichtig und taub sowieso. Aber ich weiss nicht, ob tatsächlich jede Tante bei jedem Menschen reinschneien kann. Eigentlich sollte es doch möglich sein, gewissen Tanten einfach den Zutritt zu verweigern…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken und Worte…
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Lieber Disputnik! Tatsächlich halte ich, ohne alle Ironie die Angst für eine der schlimmsten Feindinnen der Menschlichkeit. Wir müssen wohl hoffen, daß sie letztlich besiegbar ist. Aber sie kann sich verdammt gut tarnen und wir müssen immer höchst wachsam sein. Denn es herrschen viele unklare und falsche Annahmen über ihr Wesen. Das wurde mir klar, als ich einmal Bruce Chatwin las, ich meine, es waren die „Traumpfade“ über die Kultur australischer Ureinwohner. Da schrieb er von einem Treffen mit Konrad Lorenz, dem Wildbiologen, der sich erdreistete über die Natur der Menschlichen Aggressionen „Das sogenannte Böse“ zu verfassen. Da erklärt Lorenz, grob gesagt, unsere Aggressivität mit natürlichem Jagdtrieb und Dominanzverhalten. Chatwin nun entwickelte in dem Gespräch den Gedanken, unsere „Fähigkeit“ andere brutal zu vernichten sei keineswegs aus der fröhlichen Jagd und den lebensbejahenden Balzkämpfen entstanden. Sondern viel eher aus der Verteidigung gegen Räuber, mittelgroße Raubkatzen, mithin also aus der verängstigten Gruppe in der Nacht, die irgendwann nicht mehr hinnehmen wollte, daß der Tiger einfach so einen von ihnen holt. Lorenz konnte dem nichts entgegensetzen. Wie es wirklich war, kann man wohl nicht sagen. Mich faszinierte daran aber das Infragestellen scheinbar eingängiger Erklärungsmuster. Ich denke, dieses Infragestellen muss immer das Fundament unserer Wachsamkeit sein, wenn wir die Angst bekämpfen und damit den Menschen dienen wollen. Entschuldige den langen Kommentar, aber das wollte ich hier eben noch loswerden. AW
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Das Infragestellen ist zweifellos zentral, das Hinterfragen und Zweifeln als Motor des Lernens. Wichtig ist wohl auch das Akzeptieren von Zwischentönen und Grauzonen, die sich eben nicht nur klar in Schwarz oder Weiss einordnen lassen. Und ja, wahrscheinlich ist die Angst durchaus in der Lage, diese wichtigen Dinge auszuhebeln. Mit häufig sehr unschönen Folgen.
In deinem Kommentar steckt sehr viel, aber keinesfalls ein Grund, dich dafür zu entschuldigen. Er hat mich sehr gefreut und zum Nachdenken angeregt. Danke dir herzlich dafür. Und liebe Grüsse…
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