Es geschieht mitunter sogar an warmen Sommertagen, vor allem aber dann, wenn die Luft frisch und kalt über die Gassen und Felder zieht; ihre Finger werden klamm, kühlen ab bis auf die Knochen, und schließlich verlieren sie Blut und Farbe, werden weiß und taub und starr. Und obwohl der Haut jegliche Empfindsamkeit fehlt, ist da ein tumber Schmerz. Sie schüttelt die Hände, klopft mit den Fingern an ihren Hüftknochen oder den Brustkorb, doch es nützt nichts, die Finger bleiben weiß. Erst später, wenn sie sich aufwärmt, kehrt die Farbe zurück, rasend, wütend, das Blut schießt in die Hände und bis in die Fingerspitzen, färbt die Haut in dunkelstes Rot. Und während dies geschieht, stechen tausend Nadeln in ihr Fleisch, pochend und hämmernd, als müssten sie beweisen, dass es weh tut, das Leben.
Sie hat sich daran gewöhnt, wie man sich wohl auch an Migräne und Hexenschuss gewöhnt, an so viele Dinge, welche die dunkleren Konturen des Daseins schärfen. Sie weiß sich zu helfen, trägt Handschuhe oder klemmt beim Sitzen ihre Hände unter die Oberschenkel, und wenn die Finger dann trotzdem erfrieren und erblassen, hält sie es aus, weil es nichts anderes gibt. Und eigentlich macht sie sich deswegen keine Sorgen.
Hin und wieder aber denkt sie, dass es längst nicht nur die Finger sind, die weiß und taub werden, gefühllos und kalt. Selbst in lauen Julinächten, in beheizten Zimmern oder am wärmenden Feuer von guten Menschen hat sie bisweilen den Eindruck, im ganzen Innern zu erkalten. Das Rot des Blutes scheint ihr zu entweichen und sich in der Luft aufzulösen, die Adern verhärten sich, das Fleisch wird karg und trocken, die Glieder werden bleiern, die Knochen brüchig. Der ganze Körper erstarrt, wirkt fremd und unfreundlich, und wenn sie sich berührt, bleibt jede Reaktion der Haut aus. Ohnmacht und Bewusstsein nähern sich an und stoßen sich ab, lähmen die Zeit. Sie schüttelt sich, doch es nützt nichts. Erst später, viel später, kehrt die Farbe zurück, rasend, wütend, das Blut schießt in alle Glieder. Und während dies geschieht, stechen tausend Nadeln in ihren Kopf, pochend und hämmernd, als müssten sie beweisen, dass es weh tut, das Leben.
Und vielleicht gewöhnt sie sich auch daran, so wie sie sich an die weißen Finger gewöhnt hat. Doch manchmal ist da dennoch die lauernde Angst, dass es weiß bleibt, taub und kalt. Dass es irgendwann nicht mehr weh tut.

Morbus Raynaud, hier ebenfalls. Es kam schleichend und wurde immer präsenter. Das Belächeln durch Bekannte und Freunde, weil ich ab Herbst immer mit Handschuhen Auto fahren muss, und die Ignoranz waren oft schlimmer als die Leichenfinger. Aber nun der Bogen zum Text: diejenige, die mir auch die Diagnose stellte, meinte, das käme vom Herzen. Wenn das nicht in Ordnung ist, leiden auch die Blutgefäße darunter. Und tatsächlich; in Stresssituationen vor allem mit dem damaligen Herzschinder wurde es schlimmer, der ganze Körper schien mir taub zu werden, ein schleichender Zerfall kündigte sich immer deutlicher an.
…
Seit über zwei Jahren bin ich, Mitte 30, nahezu beschwerdefrei. Das Herz ist offensichtlich wieder in Ordnung 🙂
LikeLike
Oh, das freut mich sehr. Vor allem das sich wieder in Ordnung befindliche und offensichtlich ungeschundene und blutschwere Herz… Schön, dass dich der Lebenssaft wieder schön und gut durchfliesst…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen, für deine Worte und Gedanken… Wünsche dir weiterhin gute Durchblutung und alles Liebe…
LikeLike
Ich kenne dieses fänomen nur bei Frauen…
Siehe Arie aus la boheme wie eiskalt ist dein Händchen 🙂
LikeLike
Ich kenn’s (leider) nicht nur bei Frauen…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
LikeLike
Dann kennst du selbst wohl dieses Kälte-Phänomen…
ICH überhaupt nicht,
nicht mal im Hochwinter…
Enjoy your Day,
Finbar
LikeLike
Ja, ich kenn’s selber, und umso mehr freut’s mich, dass es dir fremd ist… Einen wunderschönen Tag dir…
LikeGefällt 1 Person
Das erinnert mich an eine liebe Freundin von mir, der ich immer mal wieder meine Handschuhe leihen musste… zum Glück blieb es bei ihr bei den Fingern 😉
LikeLike
Das freut mich, dass nur die Finger betroffen waren… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und deine Worte…
LikeLike
Ach, interessant! Hab´ ich auch. Ärzte lachen darüber (machenSe ma Sport), aber man selbst ist gelegentlich kurz vor dem Zusammenbruch, schöne Verarbeitung!
LikeLike
Na, dann wünsch ich dir eine bestmögliche Besserung der gemeinen Finger und einen neuen Arzt.
Lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte…
LikeGefällt 1 Person
Digitus mortuus, oder auch Morbus Raynaud. Betrifft v.a. Frauen zw. 20-40 Jahren (ich hab´s auch).
Später wird alles wieder gut. Hoffentlich.
LikeGefällt 2 Personen
(Mir ist’s auch nicht fremd.)
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
LikeGefällt 1 Person