Es war warm am einzigen Abend mit ihr, trockene Grashalme kitzelten die Stellen zwischen den Zehen, man war barfuß im Park, und irgendwann wurde es dunkel, und man zog sich Socken und Schuhe wieder an, warum auch immer, denn es war nach wie vor warm, doch eigentlich ist es egal, es spielt keine Rolle, was man in ferner Vergangenheit mit seinen Füssen gemacht hat, alles andere müsste doch wichtiger sein, doch man erinnert sich hartnäckig daran, an das trockene Gras und an die nackten Füße und dann an das Anziehen der Socken und Schuhe, man erinnert sich sogar an die weißen Plastikbecher, ganz billig und lächerlich und völlig unpassend zum guten Rotwein, und man erinnert sich daran, dass irgendwann in jener Nacht ein entfernter Bekannter betrunken in den nahen Teich sprang; man erinnert sich an all das, aber man erinnert sich beim besten Willen nicht an den Namen der Frau, mit welcher man damals dort war, im warmen trockenen Gras, in der Nähe des Teiches, und man weiß noch, man war ein wenig verliebt, man fand die schwarzen Locken sehr schön und ebenso die dunkelwarme Stimme, man hat sogar Schemen eines Gesichts vor dem inneren Auge, aber den Namen, ihren Namen, den gibt es nicht mehr, nicht in der eigenen Welt, doch man stellt fest, dass gar nicht so viel fehlt, nur ein paar Buchstaben; alles andere ist noch irgendwo vorhanden; das trockene Gras und die Socken und die dunkelwarme Stimme und der Wein in lächerlichen weißen Plastikbechern.

Eine feine Beschreibung, wie sich eine Erinnerung verändern kann.
Dazu passt vorzüglich Brechts weiße Wolke.
Erinnerst Du Dich an seine Worte von der weißen Wolke so weit oben?
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Ich muss gestehen, dass Brecht und seine weisse Wolke zu den unzähligen Leerstellen in meiner Literaturkundigkeit zählen; es wird wohl mal Zeit, diese Lücke zu füllen… Herzlichen Dank fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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noch nicht nachgelesen, lieber Disputnik?
Es ist ziemlich berühmt bekannt, dieses Gedicht von Berthold Brecht
Erinnerung an die Marie A.
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: ich küßte es dereinst.
Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Liebe Grüße ins Wochenende von Bruni
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Ach, wie schön, liebe Bruni… Tatsächlich wunderbar passend, und Herr Brecht erinnerte sich sogar noch an den Namen. Vielen lieben Dank dir für die Worte; für deine und für jene von Herrn Brecht…
Herzliche Grüsse zurück…
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Vielleicht erinnerte sich nur das dichterische Ich an den Namen *g*
Ich weiß es nicht.
Aber dieses Gedicht habe ich immer behalten. Es beeindruckte mich.
Ich weiß nicht mal genau, warum *lächel*
LG von mir
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Bei manchen Erinnerungen ist’s wohl so, dass man nicht weiss, warum sie so sehr im Gedächtnis bleiben, während anderes so rasch verblasst… Das Gedicht ist aber tatsächlich sehr schön, vermag zu berühren…
Vielen Dank nochmals und liebe Grüsse…
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Doch plötzlich riecht man ein Parfum, ihr Parfüm… und plötzlich, man weiss nicht woher, ist der Name wieder da…
Toller Text
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Oh ja, die Düfte der Vergangenheit, auch so eine seltsame und wunderbare Sache… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Einem wirklich guten Wein an einem wirklich schönen Abend können Plastikbecher nichts anhaben 🙂
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Stimmt. Und einem wirklich schönen Abend kann wiederum wirklich schlechter Wein nichts anhaben… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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hab zufällig von händel die „wassermusik“ gehört während ich las und alles zusammen machte ein wunderbar sehnsüchtiges gefühl (und ich fühlte das gras unter den füßen, die schon längst wieder in schuhen & socken stecken).
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Oh, ein buchstäblich schön klingender Zufall… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und die Sehnsucht und für deine Worte…
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