Es war einmal ein Mann, der musste die Frauen berühren. Nicht alle Frauen, nur solche, die ihm gefielen. Nicht immer, aber hin und wieder. Er wusste, dass man das eigentlich nicht macht. Aber er musste es tun. Er konnte nicht anders. Manchmal, da wehrte er sich, sträubte sich, bisweilen sogar mit Erfolg. Doch dann wieder ließ er es geschehen. Er konnte gar nicht richtig erklären, warum es geschah. Er fand es einfach sehr schön, jedes Mal, und eigentlich war es ja nichts Schlimmes, dachte er, schließlich tat er ja niemandem weh. Nie hätte er einer Frau wehtun können. Er liebte Frauen nämlich, sehr sogar. Frauen waren voller Zauber und Wunder, und gerade weil sie so zauberhaft und wundervoll waren, musste er sie berühren.
Dass nicht jede Frau seine Avancen zu schätzen wusste, hatte er schon häufig feststellen müssen, und mit der Zeit war er vorsichtiger und zugleich raffinierter geworden, hatte sich Strategien zurechtgelegt und Vorgehensweisen etabliert. Wenn er zum Beispiel im Zug fuhr, trug er stets seine große Tasche mit sich. Falls er eine schöne Frau erblickte, neben welcher der Platz noch frei war, setzte er sich nach freundlichem Nachfragen hin und stellte die Tasche auf seinen Schoss. Eine Hand platzierte er so, dass sie, ganz zufällig wirkend, nach einigen harmlosen Bewegungen den Oberschenkel seiner Sitznachbarin berührte. Auf holprigen Strecken gelang es ihm sogar, die Hand ein wenig zu bewegen, ohne dass sein Unterfangen zu unerwünschten Konsequenzen geführt hätte. Die andere Hand bewegte er sowieso, sie lag gut geschützt unter der Tasche auf seiner Hose.
Er kannte noch weitere gute Orte und Anlässe, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Überfüllte Stadtbusse etwa, Bergbahnkabinen an warmen Herbsttagen, trunkene Volksfeste. Manchmal führte sein Verhalten zu unschönen Reaktionen, doch nicht selten war er überzeugt, dass den Frauen seine Nähe durchaus willkommen war. Diese Momente genoss er besonders, auch wenn er in solchen Fällen seine Freude häufig zu augenfällig und offen zeigte und zumeist doch noch Unverständnis oder Ablehnung erntete.
Manchmal war der Mann furchtbar einsam. Er hatte niemanden, mit dem er seine Sehnsüchte tatsächlich teilen durfte, da war kein Mensch, dem er sich anvertrauen konnte. In gewissen Momenten starrte er an eine weiße Wand in seiner kleinen Wohnung, minutenlang, ohne sich zu rühren, und die Augen wurden trocken und matt und tot. Doch dann fuhr er einfach Zug oder Bus, bis sich eine Gelegenheit bot, um eine der zauberhaften und wundervollen Frauen zu berühren. Dann ging die Traurigkeit wieder weg, zumindest vorübergehend.
Eines späten Abends saß er in einem Zugabteil, ziemlich unaufgeregt und zufrieden. Es waren nur eine Handvoll weiterer Passagiere unterwegs, und an jeder Haltestelle leerte sich das Abteil noch mehr. Der Mann genoss die Ruhe, das sanfte Rauschen des Zuges, das Vorübergleiten der Lichter in der dunklen Landschaft. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges saß eine junge Frau auf dem Polstersessel. Ihr Körper war ein wenig zur Seite gekippt, der Kopf ans Fenster geneigt. Sie atmete ruhig und langsam, ganz offensichtlich war sie eingeschlafen. Der Mann blickte sich im Abteil um, und abgesehen von einer älteren Frau, die am anderen Ende des Raumes saß und in die entgegengesetzte Richtung blickte, konnte er keine weiteren Menschen entdecken.
Obwohl er seine Tasche nicht bei sich hatte, setzte er sich neben die schlafende Frau. Mit beinahe kindlicher Neugier betrachtete er ihren Körper, ließ seinen Blick über die langen Beine wandern, über den Bauch bis zu den Brüsten, die sich im Rhythmus ihrer Atmung sachte hoben und senkten. Erneut sah er sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand ihn sehen konnte. Dann wagte er es, mit seinen Fingerkuppen ganz vorsichtig die Oberschenkel der jungen Frau zu berühren. Sie reagierte nicht, und langsam, wie ein achtsamer Jäger, schob er seine Hände über den Stoff ihrer Jeans. Als er sich der Innenseite der Schenkel näherte, glaubte er zu spüren, dass es wärmer wurde, und diese Wärme wirkte seltsam einladend. Seine andere Hand drückte er in seinen Schoss und fühlte, wie die Aufregung ihn immer mehr erfüllte, ihn beinahe in Trance versetzte.
Er wusste nicht mehr, ob er zuerst die Bewegung im Augenwinkel registrierte oder die wütende Stimme hörte. Vielleicht war es der Freund der Frau, der kurzzeitig das Abteil verlassen hatte, vielleicht der Ehemann, vielleicht der Bruder. Der erste Schlag schien gar nicht zu schmerzen. Und als die Nase brach, war es vor allem das Knacken, das ihn irritierte. Dass er verprügelt wurde, war ihm seltsam egal. Ähnlich gleichgültig waren ihm die Worte, die jener, der ihn verprügelte, ihm zubrüllte. Krankes Arschloch! Sie trafen ihn vielleicht tiefer. Aber auch sie leider nicht tief genug, wahrscheinlich. Und wahrscheinlich kann man gar nie laut genug brüllen.

Ich denke, daß nur psychologische Hilfe,
gezielte Therapien helfen können, wenn überhaupt…
LikeLike
Ja, wenn überhaupt. Vielen Dank dir für deine Worte, liebe Bruni…
LikeLike
Das Schlimme ist, dass solche Menschen meist tatsächlich richtig krank sind.
LikeLike
Ja, was die Konfrontation mit ihnen wohl nicht weniger komplex und schwierig macht… Lieben Dank dir fürs Lesen und herzliche Grüsse…
LikeGefällt 1 Person
Anfangs lächelte ich noch, doch am Ende verging mir das Lächeln.
Deine Geschichte erzeugte in mir Mitleid mit ihm, obwohl er sich
offensichtlich nicht mit einer sanften, harmlosen Berührung begnügte,
(die ich verstanden hätte), sobald sich die Gelegenheit bot…
Da nutzte er aus, was sich bot u. hier vergeht mein Mitleid, auch wenn
ich eine derartige Totschlagmanier niemals gutheißen werde.
LikeGefällt 1 Person
Hmmja, ich frag mich halt manchmal, wie man mit Menschen umgehen soll, bei welchen der Trieb stärker ist als Respekt, Moral und Anstand. Die Faust kann keine richtige Lösung sein, ein „der ist halt einfach irgendwie krank“-Schulterzucken aber wohl auch nicht…
Vielen herzlichen Dank dir, liebe Bruni, fürs Lesen und für deine Gedanken…
LikeLike