Da ist kein Blut, nicht einmal kleine Spritzer auf dem Hemd sind zu sehen. Da sind auch keine Leichen, keine leblosen Opfer. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass er ein Mörder ist. Ein Serienmörder. Er weiß nicht, wie viele Menschen er bereits getötet und warum er es getan hat. Er weiß nicht einmal, in welchem Land er sich befindet. Die Landschaft mutet fremd an, hellbraun und öde, sie scheint einem Film entrissen, den er nie gesehen hat. Er glaubt, dass irgendwo ein silberner Wohnwagen sein müsste, doch er sieht ihn nicht. Er ist unterwegs; nein, er ist auf der Flucht, vor der Polizei, vor Detektiven oder Kopfgeldjägern. Er fürchtet, dass sie ihn erwischen. Und wohin er auch flüchtet, die Angst begleitet ihn, nagt an ihm, gräbt sich tief in seinen Kopf. Er findet es nicht merkwürdig oder gar unmoralisch, dass er wiederholt gemordet hat, es ist ihm nicht sonderlich unangenehm, ein Mörder zu sein. Doch die Angst, erwischt zu werden, diese Angst erschüttert ihn zutiefst.
Irgendwann wacht er auf. Und während er zurückdenkt an den seltsamen Traum, ist es erneut nicht vornehmlich die Tatsache, dass er sich als Serienmörder wahrgenommen hat, die ihn irritiert, sondern der Umstand, dass die Angst, erwischt zu werden, so viel stärker war als jedes Gefühl von Ungerechtigkeit oder Immoralität. Er erinnert sich, dass der Kriminalpsychologe Thomas Müller in einem Gespräch meinte: Derjenige, der noch nie darüber nachgedacht hat, einen anderen umzubringen, ist mir suspekt. Aber: Vom blitzenden Gedanken des Hasses zur Überlegung, die Tat wirklich zu tun, zur planenden Vorbereitung und zur Umsetzung der Tat, das ist ein ewig langer Weg. Und er denkt wieder an seinen Traum und fragt sich, wie sehr jene nagende Angst, erwischt zu werden, dafür verantwortlich ist, dass er diesen langen Weg nicht geht. Und welche Empfindung wohl groß genug wäre, um die Angst zu überwinden.

was bewegt einen Menschen dazu, andere zu töten.
Meist sind es bodenloser Hass, Eifersucht, maßloser Ehrgeiz oder es ist mehr oder weniger ein Unfall, es sollte nicht geschehen…
Bei einem Psychopathen, einem Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung, sieht es da sehr anders aus. In dem von Dir beschriebenen Fall scheint er kein Gefühl anderen Menschen gegenüber zu haben. Er mordet halt, weil es ihm gerade in den Sinn kommt. Ein sinnloser Mensch, der nicht menschlich im menschlichen Sinne ist.
Einer, der vermutlich auch eine Gefahr für sich selbst ist. Eine schlimme Vorstellung, die Du da sehr gekonnt präsentiert, lieber Disputnik.
Liebe Grüße von Bruni
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Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Gedanken, liebe Bruni…
Ich frag mich halt, wann nicht nur Psychopathen, sondern eben auch ganz „normale“ Menschen zum Töten imstande sein können…
Nochmals Danke und herzliche Grüsse…
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schneller als wir Normalos denken, lieber Disputnik, und doch gibt es Menschen, in denen ist das Hindernis, anderen körperliches Leid zuzufügen, zu groß. Sie gehen zugrunde, sie wehren sich kaum.
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Das ist wohl so, ja, liebe Bruni, die Wehrlosigkeit kann wohl mitunter weitere Abgründe öffnen… Nochmals lieben Dank für deine Gedanken!
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Ist es wirklich nur die Angst vor Strafe, die die meisten von uns vom Töten abhält? Oder fühlt es sich vielleicht nicht eher ganz unterschiedlich an, ob man abstrakt über das Töten anderer nachdenkt oder ob man tatsächlich das Leben eines echten Menschen in der Hand hält, so anders, dass die Frage nach dem Erwischtwerden ganz in den Hintergrund tritt? Vom Mörder-Sein zu träumen ist ganz anders als zu morden. Zumal in dem beschriebenen Traum kein einziger Mord vorkommt; das eigentliche Morden scheint so weit weg zu sein wie das Abknallen von Spielfiguren am Computer.
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Ich hoffe sehr und glaube auch, dass es längst nicht nur (und auch nicht zuvorderst) die Angst vor Strafe ist, die uns (oder die meisten von uns) vom Töten abhält… Auf der anderen Seite denke ich aber auch, dass Situationen vorstellbar sind, in denen man zum Töten imstande wäre… Lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken…
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