Man sitzt im Zug und liest, eher von Langeweile denn von Interesse getrieben, eine Zeitschriftenkolumne, verfasst von einem Herrn, dessen Jugendjahre offensichtlich unter dickem Staub vergraben liegen, denn genau darüber schreibt er, über die Jugendjahre, nicht über seine eigenen, sondern über jene der Menschen, die sie gegenwärtig erleben, und jeder Satz schreit förmlich nach größtmöglicher Distanz zwischen dem Kolumnisten und den Protagonisten seines Berichtes, in welchem er von einer Begebenheit im Zug erzählt, als er in unmittelbarer Nähe zu drei jungen Mädchen saß und sich genötigt sah, ihrem Gespräch lauschen zu müssen, und er nennt sie abwechselnd Teenies und Girls und Mädels, bewahrt sich aber bei aller Sprachvielfalt die konstante Arroganz des gereiften Erwachsenen, und die Mädels, seinem Urteil zufolge vielleicht dreizehn Jahre alt, plauderten lautstark miteinander und aneinander vorbei, starrten in ihre Smartphones, kauten rosarot riechenden Kaugummi und bezeichneten sich gegenseitig als Bitch und Alte, sprachen über Frisuren und Pickel und natürlich über Jungs, coole und geile und süße, Arschlöcher und Player und Machos, und die beschriebene Szene, sie dient dem Kolumnisten als Bestätigung und Bestärkung seiner unmissverständlichen Meinung über die Jugend, eine Meinung, die er im weiteren Verlauf seines Artikels in weitere Wörter fasst, denen der Ekel förmlich aus den Serifen der Buchstaben trieft, und wenig überraschend folgt am Ende des Textes eine düstere Prognose, in welcher die drei Mädchen die Zukunft des Landes und der ganzen Welt zu verkörpern haben, was den Kolumnisten selbstredend mit Angst und Ratlosigkeit erfüllt, und während man im Zug sitzt und gelesen hat, was dieser Mensch im Zug sitzend beobachtet hatte, sieht man sich um und bemerkt drei junge Mädchen, die sich unterhalten, und man lässt die Zeitschrift sinken und hört dem Gespräch zu, und sie reden über Ausbildungen im sozialen Bereich und über Zivilcourage, dazwischen auch über Jungs, die süßen und die anderen, und nichts davon klingt so, wie der Kolumnist es beschreibt, und man freut sich über diese zusätzliche Ebene, über diesen bemerkenswerten Zufall, über die Vielfalt der Menschen, auch der Teenager, und man freut sich über die Vielzahl an Perspektiven und darüber, dass es noch andere gibt als jene des Kolumnisten.

Thanks forr this blog post
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Ja, früher die Jugendlichen waren auch so schlimm, die hörten Black Sabbath, und waren Rocker und Punker, ach, und Atomkraftgegner und Zivis, dann kamen die ersten Commodore- und Atari- abhängingen, und die, die für die Umwelt kämpften, und dann……. usw. Daraus sind heute die Schreiber der Kolumne geworden, und die Leser solcher Kolumnen, und die Zustimmer und Ablehner, und die, die ihre Jugend vergaßen, und die, die sich voller Enthusiasmus daran erinnern, und die Jugendlichen ihr Leben entdecken lassen… und sich vielleicht von der unbändigen Kraft, die wir Älteren auch mal hatten (oder haben???) um Missstände nicht nur endlos zu beklagen, sondern etwas dagegen zu tun… 🙂 LG
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Ohja… Ganz wunderbar weitergedacht und ausformuliert (und in der Klammer mit den drei Fragezeichen steckt eine ganz eigene Geschichte…). Vielen lieben Dank dir und herzliche Grüsse…
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Ach ja, lieber Disputnik, der „Generationenkonflikt“… immer wieder neu und verschieden, aber auch immer wieder gleich…ähnlich…
…ein feiner Text dazu — die heutige Situation genau auf den Punkt gebracht!
Liebe Abendgrüße vom Finbar
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Ja, so vieles wiederholt sich, wohl auch die Gräben zwischen Jung und Alt… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, lieber Finbar, und herzliche Grüsse zurück…
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Gnadenlos guter Perspektivwechsel und genau so ist es und feingliedrigzart geschrieben ist es auch noch … Jana 🙂
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Schön, das freut mich sehr; vielen lieben Dank!
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Super Text. Ja, die vielen Ebenen im Leben…. wenn man sich direkt mit den Dingen beschäftigt, seine Schubladen einfach offen lässt, um sie immer wieder um zu sortieren und vor allem, am besten mal aufhört, die Dinge (auch) aufgrund eigener Befindlichkeiten immer zu zu be(ver)urteilen… dann kann man sie entdecken 😉 Sehr spannend.
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Jaha, die Scheuklappen, sie vermindern das Sichtfeld unweigerlich und verunmöglichen Entdeckungen… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken…
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Der Kolumnist gehört zu den Menschen, dessen Glas immer halb leer ist – für andere muss es zwar auch nicht immer halb voll sein, wenigstens mal so mal so.
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Vor allem will der Kolumnist offenbar gar nicht wissen, was im Glas drin ist… Vielen Dank dir fürs Lesen und deine Gedanken…
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Seine Gedanken: „Ist ja eh alles Sch….“
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Jaja, die Jugend von heute. Die war immer schon ganz, ganz schlimm, nicht wahr? 😛
Glücklich, wer zuhören kann, ohne zu (ver)urteilen, denn der kann auch mehr hören. Und ein Glück, dass unsere Jugend so ist, wie sie ist: vielfältig.
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Überhaupt, die Menschen, sie sind ungemein vielfältig… Und ja, die Jugend von heute wird wohl immer schlimm bleiben… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und die Worte…
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Ja!
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Schön!
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Super: starker Text & starkes Photo.
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Vielen lieben Dank!
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