Die ersten Konturen schälen sich aus der Nacht. Kühles Licht in Grau und Grün tastet sich in den Raum. Marina hat erneut in ihren Kleidern geschlafen. In ihrem Hals steckt ein Stück Jutestoff, zumindest fühlt es sich so an. Das Schlucken fällt schwer, der Kopf schmerzt, da ist ein merkwürdiges Dröhnen und Fiepen. Aber Marina harrt aus. Sie mag noch nicht aufstehen. Die Lider zittern, dann schließt sie die Augen wieder.
Die Bilder wirken seltsam verzerrt und dennoch klar. Sie sieht eine Mitarbeiterin aus dem Büro, ihr Name ist Evelyn, eine junge Frau, ziemlich klein, mit großen Brüsten und dunklen Locken. Sie weiß nicht, warum ausgerechnet Evelyn etwas in ihr auslöst. Nur wenige Menschen lösen etwas in ihr aus. Wenn sie Evelyn begegnet, erwacht unweigerlich das Bedürfnis, sie zu berühren.
Marina schiebt ihre Hand über ihren Bauch und in ihren Schoss, die Finger krümmen sich. Während sie daran denkt, Evelyn die Kleider vom Leib zu zerren, ihre Haut zu kneten, ihre Brüste zu küssen, wird Marinas Griff immer fester, beinahe gewaltsam bewegt sie ihre Hand zwischen den Beinen. Ihr Atem wird schneller, doch er stockt nicht, das Aufbäumen bleibt aus, wie immer. Irgendwann hört sie auf, liegt starr auf dem Bett, blinzelt in den erwachenden Morgen.
Sie denkt an den Film Dans Ma Peau, in welchem die Protagonistin sich nach einem harmlosen Unfall zu Beginn immer blutiger und kompromissloser der Selbstverstümmelung hingibt und zunehmend der lustvollen Sucht verfällt, sich selbst zu verletzen. Ihr damaliger Freund hat ihr den Film auf DVD geschenkt; wohl nur deshalb, weil die Regisseurin und Hauptdarstellerin Marina de Van den gleichen Vornamen trägt wie sie. Oder weil er dachte, der Film wäre erotisch aufgeladener Horror und würde animierend wirken. Doch beim Anschauen bezeichnete er Dans Ma Peau als Kunstkacke und schlief mitten im Film ein, während sie selbst nach dem Abspann noch minutenlang gebannt auf den Bildschirm starrte, mit dem raren Gefühl im Bauch, sich zugleich zu verlieren und zu finden. Vom damaligen Freund trennte sich Marina ziemlich rasch und schmerzlos wieder, den Film hingegen behielt sie nah bei sich.
Marina starrt an die kahle Wand des Schlafzimmers, denkt noch einmal kurz an Evelyn. Dann steht sie auf und geht ins Badezimmer, stellt sich unter die Dusche und lässt heißes Wasser auf ihren Körper prasseln. Dampf tastet sich in den Raum. Der Kopf schmerzt noch immer, die Haut beginnt zu brennen, verfärbt sich ein wenig rötlich. Aber Marina harrt aus. Sie mag noch nicht aufhören. Die Lider zittern, dann schließt sie die Augen wieder.

Relativ wenig Kommentare…
Ein schwieriges Thema, lieber Schreibfreund, mal wieder deutlich manifestiert…
So wie nur du es beherrschst…
Liebe Sommersonnengrüße
vom Finbar
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Vielen Dank dir, lieber Finbar… Naja, ich glaub, es gibt dann doch sehr sehr zahlreiche Menschen, die’s besser beherrschen als ich, aber dein Lesen und deine Worte freuen mich sowieso. Und den Film Dans Ma Peau leg ich dir sehr ans Herz, auch wenn’s kein Gutfühlfilm ist… Nochmals lieben Dank und herzliche Grüsse zurück…
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Herzlichen Dank, lieber Disputnik, für deinen Filmtipp 🙂
Liebe Grüße zur Nacht vom Finbar
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Gefühle, die Zeilen wie diese verursachen, kann ich gar nicht beim Namen nennen. Atmosphärisch dicht.
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Dass die Zeilen etwas auszulösen vermögen, freut mich sehr. Vielen herzlichen Dank dafür und für die Worte!
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