Eigentlich warst du ja nur zum Ficken gut, sagte er. Blies den Rauch seiner Zigarette in den Raum, lächelte sein arrogantestes Lächeln, schaute auf die Uhr und ging. Sie blieb zurück, allein in ihrer kleinen Wohnung, während um sie herum die Dämme brachen und die Säulen kollabierten. Dann zogen die Wolken auf. Sie strauchelte und fiel, schürfte sich die Haut an den Knien auf. Irgendwann zeichnete sie eine Linie auf den Unterarm.
Die Zeit radiert nicht alles aus, sie verwischt höchstens die Spuren. Heute ist die Linie kaum noch zu sehen, und wenn sie ihr mit dem Daumen folgt, fühlt sie nichts. Sie denkt an die Monate ohne Licht, an den trockenen Hals, an das erdrückende Gewicht. Und sie weiß nicht, was merkwürdiger ist; dass es damals so gewaltig und zersetzend war oder dass es heute so gleichgültig und banal ist.
Womöglich werden die Dinge rückblickend nivelliert und geglättet, vielleicht wird nachträglich begradigt, was krumm gelaufen ist. Jedenfalls ist sie heute unmessbar weit weg von seinem arroganten Lächeln, wohnt in einer neuen Wohnung, lebt ein neues Leben. Sie liegt auf dem Bett und wartet auf die Heimkehr ihres Mannes, der unterwegs zu ihr ist, irgendwo auf einer Autobahn, in einem beinahe neuen Gebrauchtwagen.
Sie schließt die Augen und sieht die schmale Straße, die zum Haus führt. Da sind Schlaglöcher, die sich bei Regen mit Wasser füllen und den Himmel spiegeln. Manchmal gelingt das Ausweichen, manchmal nicht. Doch es ist okay, es ist nicht schlimm. Und am Ende ist man zu Hause.
Eigentlich warst du ja nur zum Ficken gut, denkt sie. Und bläst den Rauch ihrer Zigarette in den Raum.

Es fiel mir dieses Mal irgendwie sehr schwer „gefällt mir“ anzuklicken, liebe Disputnik…
vielleicht liegt es daran, dass mich Texte, die das Wort „ficken“ enthalten immer irgendwie
anwidern…
aber bei dir, deiner feinfühligen Schreibe, habe ich gerade eine Ausnahme gemacht *lacht*
Liebe Abendgrüße
Finbar
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Ja, lieber Finbar, für mich wirkt das Wort Ficken oftmals auch so, als ob man jemandem ins Gesicht schlägt, obwohl man eigentlich streicheln will… Herzlichen Dank, dass du eine Ausnahme gemacht hast, und liebe Abendgrüsse zurück zu dir…
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Das kann man nur hoffen, dass die Erinnerung so manches nivelliert …. sonst wäre das Leben ja kaum auf Dauer auszuhalten. Die Erinnerung ist ein tückisches, aber hoch interessantes Phänomen. Trotzdem bleiben bestimmte Sätze erhalten, das ist interessant, denn sie verfolgen einen nahezu. Selbst wenn der andere, anders als in deiner Geschichte, es vielleicht gar nicht so gemeint hat. Es bleibt. Man sollte immer aufpassen, was man sagt. Worte können mächtig sein.
Und Säulen zum Kollabieren bringen. BAMM.
Danke für die Geschichte, hat mich bewegt.
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Ja, die Erinnerung ist tatsächlich interessant, auch die Tatsache, wie sich darin manches wandelt mit der Zeit…
Freut mich sehr, dein Bewegtsein… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken und Worte…
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Ja, die Erinnerung ist eine starke Kraft. manchmal erinnert man sich an Dinge, an die man sich eigentlich gar nicht erinnern kann, weil sie faktisch anders waren 😉 oder warum auch immer. Oder andersherum. Spannendes Thema.
Lese sie gerne, deine Geschichten.
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Nochmals lieben Dank dafür!
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Stark.
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Danke! Sehr.
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Kollabierende Säulen…so etwas zu lesen, macht Spaß.
Manche Narben verblassen wie die Erinnerung an den Schmerz, der sie verursachte. Manche Narben verblassen ganz, andere hingegen kapseln sich ein und wuchern wild nach innen weiter, werden Ausdruck, Verhalten oder zu mimischen Falten.
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Spass machendes Lesen auch hier, mit den mimischen Falten und dem nach innen Wuchernden… Lieben Dank dafür, fürs Lesen und die Worte…
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Immer wieder gern. Du bist ein Meistererzähler.✨
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Oh! Danke schön! Und gleichfalls…
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Vielen Dank…✨
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