Er steht auf der Bühne, mit seiner Trompete in den Händen, diese blöde Trompete, wer spielt schon Trompete in einer Rockband, nun, er tut es, warum auch immer, man will wohl etwas Besonderes sein, eine außergewöhnliche Band, halt die Band mit der Trompete, und man ist es, und er spielt sie, die Trompete, wenn auch schlecht, er hat es nie gelernt, aber das ist egal, einige Töne kommen raus, sie sind laut und meistens im Takt, das reicht, er spielt keine Melodien, die kann er nicht, die will man nicht, ein wenig kakophonisch darf es sein, ist es auch in der Regel, doch eigentlich lautet die einzige Regel, dass es keine Regeln gibt.
Beim Soundcheck sitzen sie auf dem staubigen und schmutzigen Boden oder auf den wenigen Stühlen, die Männer mit ihren Hosen und ihren Shirts, die Frauen mit ihren Röcken und ihren Jeans, ihren engen Oberteilen und ihren halb geöffneten Blusen, und er schaut sich um, schaut sie an, beinahe so, als würde er etwas suchen, doch eigentlich sucht er immer, vielleicht hört das niemals auf, und irgendwo sitzt Maria, auf einem Stuhl neben einer Säule, sie trägt einen kurzen schwarzen Rock und schwarze Strumpfhosen, die Beine verlaufen parallel und knicken bei den Knien ab, und sein Blick folgt der Fuge zwischen ihren Beinen bis zum Schatten unter dem Rock, und natürlich sieht er nichts, man sieht nie etwas, er glaubt immer, da müsste ein Leuchten sein, ein helles Licht oder so, doch da ist nur eine dunkle Stelle, trotzdem schaut er wie von selbst dort hin, auch bei Maria, und er würde Maria gerne dort küssen, sie dort schmecken, sie dort einatmen, ebenso beim Bauch und zwischen den Brüsten und am Hals, will sie überall küssen und schmecken und einatmen, doch dann bläst er in seine Trompete und erschrickt, weil sie so laut schreit.
Als die Band den ersten Song anstimmt, stehen alle auf, und nachdem der Schlagzeuger den Takt gefunden hat, beginnen sie allmählich zu tanzen, die Frauen, auch einige Männer, doch denen schaut er ungern zu, die Männer bewegen sich meistens sehr kontrolliert und strukturiert, als gäbe es beim Tanzen eine Norm, die es zu erfüllen gilt, doch diese Norm gibt es nicht, was aber offenbar nur die Frauen wissen, denn die lassen einfach los, werfen ihre Körper in den Rhythmus der Musik, zuerst noch zaghaft, dann immer ungezügelter, und er mag das, er mag dieses Entrückte, er freut sich darüber, auch für sie, freut sich mit ihnen, dass sie entfliehen können, und nachdem er einige Töne auf seiner Trompete gespielt hat, lässt er sie wieder sinken, sein Instrument bleibt für den Rest des Songs stumm, und während die übrigen Musiker Lärm machen, steht er still daneben und schaut ins Publikum, beobachtet die tanzenden Frauen, die Arme und Beine, die Hüften und Brüste, die Haare und Lippen, die geschlossenen Augen, und direkt vor der Bühne tanzt Maria, und er bildet sich ein, sie tanze nur für ihn, einen Moment lang leert sich der Saal, nur Maria bleibt noch da, lässt ihre Hände über ihren Körper gleiten, vom Hals über die Brüste bis zu den Oberschenkeln, dann hebt sie ihren Kopf und schaut ihn an, schaut zuerst auf seine Trompete und dann in seine Augen, ihr Blick scheint im Mittelpunkt der Welt zu entspringen, und in diesem Moment wird es ihm zu viel, zu heiß, er sieht nach oben und zur Seite, die übrigen Leute kehren zurück, und als er wieder zu Maria schaut, bewegt sie sich zur Musik, als wäre nichts gewesen, und natürlich war da auch nichts, da wird niemals etwas sein.
Beim nächsten Lied muss er ein Solo spielen, oder zumindest etwas, das einem Solo entspräche, wenn er tatsächlich Trompete spielen könnte, jedenfalls soll er einige Sekunden lang das Schweigen der übrigen Instrumente übertönen, und als er es tut, schließt er die Augen und öffnet sie erst, als der Gitarrist wieder einsetzt, und während das Publikum danach wieder in Bewegung gerät, steht Maria ganz starr vor ihm und sieht ihn an, mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht, den er nicht deuten kann, sie lächelt ihn an oder lacht ihn aus, er weiß es nicht und das Licht ist zu schwach, mit einem Auslachen könnte er wohl einfacher umgehen, doch er hofft auf das andere und versucht, ebenfalls zu lächeln, doch wahrscheinlich sieht es nach Schmerzen aus, und seine Finger klammern sich an die Trompete, als hinge sein Leben davon ab, und irgendwann ist der Song fertig, und während alle applaudieren, zittern seine Hände noch immer, er sucht den Blick von Maria, doch der ist auf den Gitarristen gerichtet, er ist schön, der Gitarrist, alle finden ihn schön, offensichtlich auch Maria, sie schaut ihn noch immer an, und am liebsten würde er seine blöde Trompete über den blöden Kopf des schönen Gitarristen krachen lassen, doch stattdessen bläst er zornig hinein und erschrickt, weil sie so laut schreit.
Irgendwann ist das Konzert zu Ende, eine Musikanlage spielt Springsteen und Rolling Stones, die Frauen tanzen wieder, die Männer trinken Bier, und während er seine Trompete poliert, spricht Maria mit einer Freundin, blickt manchmal zu ihm hin und dann wieder auf alles andere, auf das ganze Getümmel und Gewühl, das die Luft daran hindert, zur Ruhe zu kommen, und ein wenig später sitzt Maria wieder auf jenem Stuhl neben der Säule, und wieder folgt sein Blick der Fuge zwischen ihren Beinen bis zum Schatten unter dem Rock, und wieder denkt er, dass er Maria gerne dort küssen würde, dort und überall küssen und schmecken und einatmen, doch er steht nur reglos in einer Ecke und wartet auf ein Zeichen oder ein Wunder oder den Weltuntergang, und bald darauf verabschiedet sich Maria von ihrer Freundin, doch bevor sie aus der Tür geht, wirft sie einen Blick in seine Richtung, sie schaut ihn einfach an und lächelt, hebt die Hand und winkt ganz leicht, und einen Moment lang glaubt er, dass sie ihren Kopf leicht zur Seite zucken ließ, um ihm zu signalisieren, dass er mit ihr nach draußen kommen soll, doch natürlich war da nichts, da wird niemals etwas sein, und dann verlässt Maria den Raum und nimmt die Wärme mit.
Er nippt an seinem Bierglas, stellt es auf den Tresen, geht noch zur Toilette, verabschiedet sich dann von den übrigen Musikern der Band, packt seine Trompete in den Koffer und geht nach draußen, und obwohl er weiß, dass Maria längst verschwunden ist, steht er noch da, vor der Tür, sieht sich um, atmet die Nacht ein und blickt zum Himmel, dann wendet er sich ab und geht durch die leeren Straßen, kickt manchmal kleine Steine über den Asphalt, und bei einer der zahlreichen Industriebrachen bleibt er stehen, holt die Trompete aus dem Koffer, wendet sie in seinen Händen hin und her, lässt Lichtreflektionen über das Blech wandern, dann zieht er die Luft in seine Lungen, setzt die Trompete an, bläst hinein und erschrickt, weil sie so laut schreit.

einTrompeter, der meint, er könne nicht spielen und keine Frau betören und er wünscht und wünscht, seine Sehnsucht ist stark, aber er steckt voller Hemmungen bis zum Hals, meint, keine könne ihn lieben und er läßt Maria gehen, einfaqch gehen, obwohl sie nur auf ein Zeichen von ihm wartet…*seufz*
Warum erkennt er keines ihrer Signale? Waren sie für ihn zu schwach oder ist er der, der zu schwach ist, der, der sich nie traut?
LikeLike
Ich weiss nicht, ob er zu schwach ist oder ob er einfach eine Brille braucht, eine stärkere Linse vielleicht, um ihre Signale, alle Signale, besser zu erkennen…
Vielen Dank dir fürs Lesen und Seufzen und für deine Worte, liebe Bruni. Und herzliche Grüsse…
LikeLike
Vielleicht ist da nichts, aber vielleicht ist da doch was oder könnte werden, wenn der Trompeter sich trauen würde. Er muss ja nicht mal laut sein.
Man möchte ihn, wie Faktoid schon sagte, rüber schieben.
LikeLike
Ja, wenn… Vielen Dank dir fürs Lesen und Schiebenwollen und für deine Worte…
LikeLike
Man möchte ihn rüber schieben, zu ihr. Aber jede Hilfe wäre Drängen, wäre unbeholfen, fehlgeleitet, würde scheitern.
So oft erlebt.
So sind die Regeln. Es muss schwierig sein, ein Hindernis, dass überwunden werden soll.
LikeGefällt 1 Person
Ja, vielleicht muss es schwierig sein, und alles Schieben nützt wohl nichts, wenn der oder die Betreffende sich selbst im Weg steht… Vielen herzlichen Dank fürs Lesen und für deine Worte…
LikeLike
Wie soft, ist es eine Freude, dich zu lesen. Danke dafür.
LikeLike