A. beschließt drei Tage nach seinem einundachtzigsten Geburtstag, endlich schwimmen zu lernen. B. geht in das Unternehmen, in welchem er fünfzehn Jahre gearbeitet hatte, und will möglichst viele Mitarbeitende töten, schießt aber am Ende nur sich selbst in den Kopf. C. sitzt schluchzend auf dem Bett, die Hundeleine in der Hand. D. rettet einen kleinen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, und fühlt sich endlich wieder wertvoll. E. pflückt Blumen von einem Grab und legt sie zu einem anderen Stein, steht davor und redet tonlos. F. glaubt, dass sein bester Freund ebenfalls schwul ist, wagt aber nicht, ihn zu fragen. G. schließt die zitternden Augen, beißt auf ihre Unterlippe und schiebt ihre Finger in die weiche Wärme in ihrem Schoss. H. schlägt mit seiner Faust ein Loch in die dünne Wand, weil seine Frau nicht zu Hause ist. I. schneidet Zwiebeln klein, um nicht über die Tränen reden zu müssen. J. starrt einer jungen Frau im Zug unaufhörlich auf jene Stelle, an welcher die Beine in den kurzen Rock übergehen, und zuckt zusammen, als er bemerkt, dass sie ihn ebenfalls ansieht, angewidert und traurig. K. putzt sich bereits zum vierten Mal hintereinander die Zähne, wird den Geschmack aber einfach nicht los. L. überfährt einen Hund und bremst kurz ab, rast dann aber davon, ohne in den Rückspiegel zu schauen. M. schreibt einen Brief und zerknüllt das Papier, immer wieder, bis er schließlich auf den Versuch einer Erklärung verzichtet und kommentarlos geht, alles hinter sich lassend. N. schaut sich einen Porno an und masturbiert, während seine Frau im Nebenzimmer weint. O. kann ihrem Vater nicht verzeihen. P. erwischt als Ladendetektiv in einem Modegeschäft eine Frau, die versucht, ein Kleid zu stehlen, und als sie mit vollem Körpereinsatz und naivem Charme eine Strafe abwenden will, bietet er an, dass er von einer Anzeige absieht, wenn sie ihn oral befriedigt. Q. will seinem besten Freund schon seit Jahren sagen, dass er schwul ist, doch er hat Angst, dass er ihn dadurch verliert, darum schweigt er weiterhin. R. wirft einen letzten Blick zurück und verlässt dann die Wohnung. S. kann nicht einschlafen und sieht vor den inneren Augen stets das Bild mit den Blutspritzern an den Wänden und dem leblosen Körper auf dem Boden. T. flucht auf dem Friedhof und wird von einer alten Dame zurechtgewiesen. U. erzählt zwei Mitarbeiterinnen einen sexistischen Witz und lacht möglichst laut, damit er die Fragezeichen nicht hören muss. V. findet, ihr Mann verhalte sich nicht so, wie sich Männer in seinem Alter zu verhalten haben. W trägt einen kurzen Rock, damit sie von den Jungs in der Klasse endlich beachtet wird. X hört seiner Frau zu, wie sie mit einem kleinen Vogel redet, und sagt dann höhnisch lachend, dass sie vollkommen durchgeknallt sei. Y. sitzt am Fenster, die Augen glasig, die Hände zitternd, und wartet. Z. ruft den Namen seiner Tochter in den Telefonhörer, obwohl am anderen Ende der Leitung längst niemand mehr ist.

und nun hätte ich noch gerne ein Pendant dazu, aber mit dem Gegenteil von allem, was Du hier geschehen läßt,
lieber Disputnik, auch wenn es Dein Image des Schreibers über die abgründigen Dinge hinter der unentwegt vorgetäuschten menschlichen Fassade vom ewigen Glück ankratzen würde.
Lächelnde Grüße von Bruni
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Ich wusste nicht, dass ich ein Image habe; das war nicht meine Absicht. Naja, vielleicht gelingt es mir ja mal, das gegensätzliche Pendant…
Liebe Grüsse zurück und schönen Sonntag!
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Donnerwetter, das geht aber dramatisch zu bei Deinen Kausalphabeten…
Als ich die Geschichten der Buchstaben zu einem neuen Wort formte, wie z. B. ‚Super‘, kam bei meiner Jonglierei das raus:
S. kann nicht einschlafen, wegen der Erinnerung an Blutspritzer an den Wänden und einen leblosen Körper. S‘ Untermieter U. erzählt S. darum laufend sexistische Witze zum Einschlafen. Weil U. aber so laut lachen muss, kann S. erst recht nicht einschlafen und geht zu P., der Kaufhausdetektiv von Beruf ist und vielleicht ein gutes Einschlafmittel weiß. Doch P. hat nur Sex im Kopf und bittet S. ihn oral zu befriedigen. S. ist empört, hellwach und weit entfernt vom Einschlafgedanken und trifft auf dem Friedhof (ein Ort der Stille, denkt S. und hofft auf endlich Schlaf) E., bekommt einen Blumenstrauß und dazu eine tonlose Ansprache, was zwar stark einlullend, jedoch leider auch äußerst obskur wirkt, darum S. lieber mal weitergeht, um ein paar Straßen weiter R. zu begegnen, zu fragen, ob S. bei R. versuchen dürfe zu schlafen, weil es bei S. zu laut zum Schlafen sei, da sich dort jemand aufhielte, der dauernd sexistische Witze erzählt und laut dabei lacht. R. hat Mitleid mit S. und bietet sein Sofa für ein Schläfchen an. Sie gehen zur Wohnung und S. schläft in der paradiesischen Ruhe zwischen blutleeren Wänden und lauter leblosen schönen Skulpturenkörpern inmitten von lauter Kunst umgeben, selig ein. R. wirft noch einen letzten Blick in seine Wohnung und verlässt sie dann.
Finis…:)
Super!
Du hast klasse Ideen!
Viele Grüße
von der Karfunkelfee
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Wow! Und wenn die Ideen auf diese wunderbare Weise weitergedacht werden, ist das wohl das Beste, das ihnen passieren kann. Sehr sehr fein, vielen lieben Dank dir fürs Lesen und fürs Super und für dein Textkunstwerk…
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Die Art der Erzählung ist großartig, die Inhalte jedoch bedrückend, befremdlich, erschreckend – ist es ein Spiegelbild jeder menschlichen Gesellschaft?
Hast du in der Überschrift absichtlich einmal „al“ weggelassen, denn ich dachte, es müsste Kausalalphabet heißen. – Ich frage, weil ich keine Erklärung dafür gefunden habe.
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Ja, die Wortspielerei im Titel ist beabsichtigt. Und nein, ein Spiegelbild jeder oder irgendeiner Gesellschaft ist es keineswegs; hierfür hat jegliches Alphabet zu wenige Buchstaben. Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Gefällt mir ausgesprochen gut. Sehr gut. Wünschte ich hätte es selbst geschrieben. Sind da Verbindungen? Bewusst mehrere? Denke mir das mit dem kleinen Vogel am Anfang und Ende. Die besten Freunde und das Schwul-Sein. Da war noch was. Haben alle eine Verbindung? Ach, ganz toll find ich das. Ein Blick auf ein kleines Stück Welt irgendwie.
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Sie hängen paarweise zusammen, ja, nicht alle gleich offensichtlich… Vielen Dank dir fürs Lesen und Tollfinden und für deine Worte…
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So viele Geschichten, angerissen, angedeutet; so viele Perspektiven… Ich möchte mehr darüber lesen, aber gleichzeitig ist das, was da ist, dieses hauchfeine Gewebe, so zart und schön, dass ich nicht daran ziehen will, aus Angst, etwas kaputtzumachen.
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Die Geschichten, die Buchstabenfäden, sie dürfen natürlich gerne weitergesponnen werden, sich entwickeln und weiter verstricken… So oder so vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte…
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M hat die Pizza im Ofen, merkt nicht wie sie immer dunkler wird, gefangen von zu viel faszinierender Wortgewalt. Es macht ihr nix, das war es wert.
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Herzlichen Dank fürs Lesen und Wertsein und für die Worte…
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Synchronizität! All dies, zum selben Zeitpunkt.
Vielleicht will es der Zufall, dass sie alle, ohne es zu wissen, das selbe Lied anstimmen…
In Magnolia habe ich diesen Moment geliebt.
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Ohja, überhaupt Magnolia, und ja, Wise Up…
Vielen Dank dir, dafür und fürs Lesen…
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was für ein Lied, lieber Disputnik – wundervoll
Im Video das wahrhaftig nicht immer einfache Leben
mit Leid geplastert und doch mit Freude in den Ritzen des Asphaltes
Nun muß ich erst mal Deinen Text lesen *g*
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Ja, liebe Bruni, ein wundervolles Lied, nicht wahr? Und der Film dazu, einer meiner liebsten…
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Welch a-z Geschichte. Schön. Gefällt mir.
Alleine der Gedanke dahinter ist poetisch.
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Vielen lieben Dank fürs Lesen, Schönfinden und für deine Worte…
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