Auf Schwarz-Weiß-Fotos erkennt man Rotkäppchen gar nicht, es ist nur ein kleines Mädchen mit einer Kopfbedeckung und einem Korb in der Hand, das durch einen Wald spaziert, und man müsste wohl hingehen, hineingehen, hinein ins Bild und hin zum Mädchen, müsste es nach der Lieblingsfarbe fragen, und wenn es Rot sagen würde, könnte man vielleicht daraus folgern, dass es sich auch bei der Käppchenfarbe um Rot und beim Mädchen mit dem Käppchen um das Rotkäppchen handelte, und schon daran lässt sich erkennen, dass Lieblingsfarben gar nicht so banal und unwichtig sind, wie mitunter angenommen wird, Lieblingsfarben sind relevant, und dennoch setzt sich fast niemand wirklich damit auseinander, man vermeidet das Thema oder bleibt auf Allgemeinplätzen, denn wenn es um Lieblingsfarben geht, sagt niemand Pantone 7462 oder RAL 3011, auch nicht Ziegelrot oder Lindengrün, man sagt einfach Grün oder Blau oder Rot, und häufig sagt man, dass man gar keine Lieblingsfarbe habe, man will ja niemanden kränken, und Menschen sind schnell gekränkt, selbst wegen einer Farbe, man muss stets sehr gut aufpassen, dass man niemandem auf die Füße tritt oder an den Karren fährt, sofern man denn zu Fuß oder auf Rädern unterwegs sein sollte, und doch, der Dialog über Lieblingsfarben, so gehaltlos er auch wirken mag, er würde zumindest einige Augenblicke lang vom Weltgeschehen ablenken, ein Weltgeschehen, das aus keiner Perspektive und zu keiner Zeit Anlass für Freudensprunggelenkbelastungen geben würde, nein, das Weltgeschehen ist wohl immer eine Sache, von der man sich lieber ablenken ließe, doch so richtig klappen mag das nicht, man bleibt immer dran hängen, an diesem Weltgeschehen, obschon niemand ernsthaft an den zumeist unguten Dingen hängen dürfte, die gemeinhin mit dem Weltgeschehen in Verbindung gebracht werden, und wer weiß, womöglich wäre es eine herzlich willkommene Abwechslung, wenn all die streitbaren und unbestreitbar streitlustigen Machtmenschen ein Jahr lang nur über Lieblingsfarben disputieren dürften, wenn jedes Dekret und jeder Befehl sich ausschließlich auf die Kolorierung beziehen dürfte, wenn es nicht um religiöse Irrungen und Wirrungen oder Gebietsansprüche oder beleidigte Egos, sondern nur um Farbnuancen gehen dürfte, und vielleicht hätte man sich nach diesem Jahr, diesem buntesten aller Jahre, sogar an das Fehlen der zumeist unglückseligen Konflikte gewöhnt, die das erwähnte Weltgeschehen zuvor geprägt hatten, vielleicht würde man das Weltgeschehen in allen Farben und völlig neuem Licht sehen, und vielleicht könnte Rotkäppchen dann durch den dunklen Wald flanieren, völlig angstfrei und munter singend, und wenn sie mit dem Wolf zusammenträfe, würde sich das Gespräch nur darum drehen, ob es sich beim Rot ihres Käppchens nun um Chili Pepper oder Barbados Cherry handelte, bevor die Großmutter die Sache schließlich klären könnte, mit dem Hinweis, dass sowohl Rotkäppchen als auch der Wolf im Unrecht waren, da das Käppchen eindeutig in True Red ausgeführt sei, Nummer 19-1664 TCX im Pantone-Farbfächer, und dann würden sie gemeinsam Kuchen essen, die Großmutter würde Rotwein trinken, und ihr Blick würde vom Rotkäppchen auf das Weltgeschehen und wieder zurück wandern, und irgendwann würde sie lächeln, den Wolf nach seiner Lieblingsfarbe fragen und wissen, dass sie nicht gefressen werden wird.

ich bekenne mal ganz schnell, daß ich zwar alle Farben sehr liebe, aber daß alle Nuancen des Rot, wie auch immer es in einer Scala bezeichnet werden würde, meine Favoriten sind. Ziegelrot, Tomatenrot, Burgunderrot, Blutrot, Zyklamrot, Rostrot bis hin zu noch mehr bräunlichen Tönen sind es, die mein Herz erfreuen. Wärmende Farben, die dem Winter entgegensteuern, flammendrot, nur leider sind es nicht meine Haare und auch nicht karottenrot, obwohl meine Mutter eine Rothaarige war *lach*
Doch genug abgeschweift von Deinem schönen Text, in dem ich mir beim Lesen schon vorstelle, wie die Farben Kriege besiegen, farbenprächtige Kunstwerke schwenken und den Frieden mit lyrischen Glocken einläuten.
So wird die Welt verbuntert 🙂 und der Natur, die es doch schon so leuchtend kunterbunt versucht, endlich auf die Sprünge geholfen.
Der Wolf in seinen grauUNscharfen Farben mit dem struppigen rauhen Fell und Rotkäppchen, leuchtend wie ein Fliegenpilzchen und keineswegs giftig, es sei denn, der Wolf springt aus dem Märchen, da wird er sein Rotkäppchen mal kennenlernen, denn dann zeigt es seine giftgrüne Seite.
Oh ja, es kann großen Hader geben, wenn wir falsche Farben tragen. Wie wichtig sind den Parteien ihre symbolträchtigen Farben und wehe, einer vergreift sich an den falschen, oder tut den richtigen etwas zuleide, da sind die Feinde schnell gefunden.
Ist man plötzlich in einer Gruppe, in der alle GRÜN tragen, möchte man sich in seinem knallroten Mantel mit dem schwarzen Besatz und den Knöcheldstiefelchen zu gerne wieder verstecken, oder schnell rückwärts zur Tür hinaus laufen, denn als Außenseiter wird man/frau schnell angeprangert.
Langer Rede kurzer und ernsthafter Sinn, lieber Disputnik, ich stimme Dir voll und ganz zu.
Herzliche hellblaue Grüße mit rötlichen Tupfen zu Dir 🙂 (Nein, ich habe keinen Ausschlag *g*)
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Vielen herzlichen Dank für dein Lesen und deine stets gern gelesenen Ausführungen, die immer neue Räume öffnen… Und ja, über die Farbcodes und der Hang zur farblichen Symbolik, darüber liessen sich Bücher schreiben (was wohl auch bereits getan wurde…)
Liebe rote und bunte Grüsse zurück!
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Entschuldige, daß ich hier fortgerissen wurde durch die Farben. Viel zu ausführlich ist er geworden, mein Kommi, aber Farben können so hinreißend sein, da passiert es mir mitunter 🙂 Ich werde zukünftrig mehr auf mich achten…
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Ich erhebe Einspruch! Die Ausführlichkeit und das Hingerissensein sind wunderbar, entsprechende Einschränkungen wären deshalb sehr bedauerlich… Ich lese die fortgerissenen Worte jedenfalls gerne… Danke!
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Das ist wohl der längste Satz in Bloggersdorf, den ich je gelesen habe, und der trotz eines fehlenden Punktes dennoch verständlich ist und vor allem auch noch Sinn macht, sogar einen tiefen.
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Jaha, manchmal dauert’s, bis ich auf den Punkt komme… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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…oder es würden Kriege entbrennen um die Frage, welche Farbe schöner ist und wer sie tragen darf… Man kann mit Farben auch ausgrenzen, leider. Auch wenn es schöner wäre, bei einem guten Glas Wein darüber zu reden.
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Ja, wahrscheinlich würden selbst Farben als Grund genügen, um zu den Waffen zu greifen… Vielen Dank dir fürs Lesen und deine Gedanken…
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Diese Geschichte liest sich ein bisschen (Welt-)friedenswunschkonjunktivisiert zwischen Rotkäppchen in True Red, die RAL-Nummer ist mir grad nicht parat und dem Wolf in einem frischen Steingrau(grünoderdocheherblau…)
in harmonisch abgestimmter Farbkombination- und alles sind Lieblingsfarben und wie überhaupt schmeckt wer, der auf True Red steht, brennt der auf der Zunge wie Chilli Pepper?
Diese und weitere schöne Farbenfragen dürfen mich gern jeden Tag plagen, sie sagen so viel aus über die Variationsmöglichkeiten von der bunten Welt.
Das…gefällt!😊
Viele Grüße
von der Karfunkelfee
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Das ist schön, dass es gefällt, und ebenso schön, dass die Farbenfragen willkommen sind, und noch schöner der Ausdruck Weltfriedenswunschkonjunktiv (obwohl oder gerade weil wohl ein Pleonasmus drinsteckt…). Vielen Dank fürs Lesen und Färben der Welt und für die Worte…
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Eine rhetorisch redundante Figur – hm…hm…
(Was war noch gleich ein Pleonasmus…uff…)
Dank Gugel bilanziere ich knallhart:
Weltfriedenswunschkonjunktivistisch = dekadent bis zum Überfluss ohne Informationsgehalt, dieses mein pl(eon)astiniertes Denken, das schau(der)t mich tief…
Oh oh…
oh weh, diese Fee…😊
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RAL 6020
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Auch schön… Danke fürs Lesen!
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Sind Wölfe nicht dazu da, um von ihnen gefressen zu werden?
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Gegenfrage: Sind Märchen mit Wölfen nicht dazu da, um vor ihnen (und den durch sie Versinnbildlichten) zu warnen?
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Gegenfrage retour: Wieviele Warnungen in abertausenden von Jahren wohl in den Wind geschlagen wurden, um sich ein eigenes Bild zu machen?
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Die Antwort weiss wohl nur der Wind, in den die Warnungen geschlagen wurden und werden…
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