Sie steht da, inmitten von lachenden Menschen, alle unterhalten sich über Triviales und Banales, alles wirkt luftig und leicht, nur bei ihr scheint die Schwerkraft stärker, die Schultern hängen, ihr Körper trägt ein unsichtbares Gewicht, und man könnte annehmen, ihre Füße würden tiefe Dellen im Boden hinterlassen, wenn sie einen Schritt zur Seite täte, und vielleicht bleibt sie deshalb reglos stehen, zwischen den flüchtigen Gesprächen und den tanzenden Stimmen, zwischen der Poesie der Nichtigkeit und den sorglosen Fassaden, und irgendwann geht man zu ihr hin, sagt Hallo und fragt nach dem allgemeinen Befinden, worauf sie erwidert, es geht mir gut, wirklich sehr gut, wie auf Knopfdruck, und dann zerren Muskeln an ihrem Gesichtsausdruck, bis wohl etwas Ähnliches wie ein Lächeln entsteht.
Man trifft sie im Supermarkt, beim Kühlregal mit den Milchprodukten, beinahe bewegungslos betrachtet sie das Sortiment, die bunten Becher und Verpackungen, als würde sie darauf warten, dass ein Artikel im Regal plötzlich zum Leben erwacht, doch wahrscheinlich ist sie lediglich unschlüssig, kann sich nicht entscheiden, und man geht zu ihr hin, sagt Hallo und irgendetwas über Joghurt, man fragt, wie es ihr gehe, worauf ihr Kopf merkwürdig wackelt; ihr Blick senkt sich, dann sagt sie, es geht mir gut, wirklich sehr gut, und ihre Lippen zucken und zittern, vielleicht lächelt sie, doch womöglich ist es auch nur das leistungsstarke Kühlaggregat, das sie frieren lässt.
Sie erzählt von einer Reise, von der Zeit in weiter Ferne, von Erlebnissen und Geschehnissen, sie spricht in leuchtenden Farben und expliziter Betonung, ihre merkwürdig mechanische Stimme formt perfekt konstruierte Wortgebilde, jeder Satz scheint einem Reisekatalog entnommen, und es klingt nicht schlecht, was sie erzählt, es klingt durchaus attraktiv und reizvoll, doch es klingt nicht nach Erlebtem, nicht nach ihr, und als sie ihren Redefluss kurz unterbricht, um am Weinglas zu nippen, fragt man, wie es ihr denn sonst so gehe, worauf sie sich räuspert, das Weinglas mustert und dann ein wenig zu laut sagt, es geht mir gut, wirklich sehr gut; danach nickt sie und zeigt ihre Zähne, sie sind strahlend weiß.
Ihr nackter Körper windet sich, bäumt sich auf und bebt ein wenig, ihre Finger umklammern das Laken und graben sich in Haare, das ist alles ziemlich perfekt choreografiert, elegant und ästhetisch, sie wirkt wie eine Kunstturnerin, und der Mann, mit dem sie gerade Sex hat, ist ein wenig verblüfft und irritiert, aber eigentlich ist es ihm egal, er mag das, zu persönlich soll es sowieso nicht werden, und trotzdem, als sie beide nebeneinander liegen und rauchen, fragt er, mehr aus Langeweile als aus Interesse, wie es ihr gehe, worauf sie den Rauch bis zur Zimmerdecke bläst und schließlich versichert, es geht mir gut, wirklich sehr gut, dann dreht sie ihr Gesicht zu ihm hin, schiebt die Mundwinkel kurz nach oben und wendet sich wieder ab.
Sie war einige Wochen weg, sie sagt, es sei eine Kur gewesen, auch wenn wohl niemand sonst es so nennen würde, und nun ist sie wieder zurückgekehrt, das Gesicht ein wenig schmaler, die Haare ein wenig kürzer, doch wahrhaftig neu sind wohl nur die Kleider, ziemlich bunt und laut, sie trägt textile Ausrufezeichen am Körper, doch in den Augen noch immer die gleichen alten Fragezeichen; über die jüngere Vergangenheit redet sie nicht gern, bleibt einsilbig und zaghaft, natürlich mag man nicht zu beharrlich nachfragen, das wäre aufdringlich, das gehört sich nicht, also fragt man lediglich, wie es ihr geht, mit möglichst viel Nachdruck in der Stimme, und sie starrt mit gläsernen Augen auf den Boden, endlos wirkende Sekunden lang, bis sie sich schließlich räuspert und versichert, es geht mir gut, wirklich sehr gut, und erneut verharrt sie, erneut fließen stumme Sekunden vorüber, während sie einfach dasteht, als würde sie darauf warten, dass man etwas sagt oder tut, und vielleicht sollte man, sollte etwas sagen, etwas tun, doch man zögert, man schaut sie einfach an, und dann zerren Muskeln am eigenen Gesichtsausdruck, bis wohl etwas Ähnliches wie ein Lächeln entsteht.

Mir geht es gut, wirklich verflucht gut nach diesem Text! Danke.
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Sehr schön, das freut mich! Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte!
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Ich selbst war eine ganze Weile krank (und bin noch immer in der Rehabilitationsphase) und es ist wirklich erschreckend wie viele Menschen fragen, wie es einem geht, die Antwort aber gar nicht hören wollen. Es ist zu einer Höflichkeitsfloskel geworden bei der die meisten Menschen nichts anderes hören wollen als „gut“.
Ich selbst habe mir auch angewöhnt, nur bei einem bestimmtem, sehr engem Kreis meines Umfeldes überhaupt etwas anderes zu antworten als „ganz ok, danke“…
Daher haben mich deine Worte berührt und ich danke dir für diese kleine Welt.
Viele Grüße, Julie
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Ja, es lohnt sich wohl nicht, auf die Frage einzugehen, wenn der Fragende gar nicht an der Antwort interessiert ist. Und vielleicht ist die Frage selbst aus den Mündern von nahen und vertrauten Menschen manchmal nur ein Automatismus. Manchmal aber auch nicht.
Vielen Dank dir fürs Lesen, fürs Teilen deiner Gedanken und für deine Worte…
(Und ich frag gar nicht, wie’s dir so geht, sondern hoffe einfach, dass es dir stetig besser geht und du vor allem dir selbst zumindest mit „gut“ antworten kannst…)
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sie kann reagieren, mechanisch leben – irgendwie – aber zu mehr ist sie nicht in der Lage, sie ist schon zu lange in sich versponnen, der Kokon ist reißfest geworden, liegt zu eng geschnürt um ihre Seele. Zu diesem einen Satz ist sie noch in der Lage, fast eine Abwehrreaktion, eine sehr höfliche, mehr geht nicht.
Selbst wenn sie sich bemühte, würde sie kein Wort mehr über die Lippen bringen. Sie hat dicht gemacht. Mehr geht nicht mehr… Zu vieles wurde hineingepackt, in sie, in ihr Leben, sie existiert nur noch – irgendwie, wie eine Puppe, die diesen einen Satz sagen kann – nicht mehr. Auch bei wiederholtem Schütteln kann nicht mehr kommen, weil. da ist nichts ist…
Ihre Seele müßte befreit werden, dann ginge mehr, doch wer befreit freiweilig, es ist zu schwer, eine Aufgabe, die nie mehr aufhört… Wer möchte schon eine solche lebenslange Aufabe für einen anderen übernehmen?
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Der Vergleich mit dem Kokon, er ist schön, und passend, finde ich… Es geht wohl um Abwehr, ja, um Selbstschutz, auch wenn es häufig gar nicht klar ist, wovor geschützt werden soll…
Das Befreien, es muss vielleicht gar nicht lebenslang sein. Vielleicht genügen schon ein paar Öffnungen, ein paar Risse in der Maske… Vielleicht…
Vielen Dank dir, liebe Bruni, für dein Lesen, dein Hinein- und Weiterdenken…
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Risse in der Maske öffnen nicht wirklich, lieber Disputnik. Die Maske ist doch nur die Oberfläche. Das Darunter muß in der Lage sein, sich öffnen zu können u. genau das ist das Problem.
Da siehst Du, wie gut Dein Text sein muß, wenn Du diese Gedanken von mir liest *lächel* – zu dieser Frau, die DU für diesen Text erfunden hast.
Es gelingt Dir immer wieder, Deine Typen hautnah/lebendig Deinem Leser vor Augen zu führen
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Vielen Dank für deine Worte, liebe Bruni… Und was die Risse betrifft, ja, das Darunter muss bereit sein. Doch um sich zu öffnen, muss doch auch jemand da sein, irgendwo, in der Nähe, irgendwie… Nochmals danke und liebe Grüsse…
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wie geht es Dir?
oft eine höfliche Floskel und eine passende Antwort wäre vielleicht:
Den Umständen entsprechend,
denn dies hätte zur Folge, dass entweder nachgefragt würde, vielleicht sogar aus echtem menschlichen Interesse heraus oder aber ein Schulterzucken, ein Verstummen träte ein.
Nachfragen hätte vielleicht mehr zur Folge als ein einstudiertes Allezähnezeigen.
Wirklich sehr gut.
Wirklich.😊
Viele Grüße
von der Karfunkelfee
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Ja, das „Wie geht es dir?“, es ist oftmals eine Floskel, und allzu häufig ist dem Fragenden gar nicht nach einer Antwort zumute… Und wenn doch, ja, das Nachfragen, es kann wichtig sein, oder auch sinnlos, je nach dem… In jedem Fall kann es etwas auslösen… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken…
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Das Thema Deiner Geschichte und auch zwei Begriffe von Bruni, die im Kommentarwechsel auftauchten, gingen mir herum und ich verdichtete das Thema in Lyrik. Gern würde ich das Poem bloggen und die Quelle nennen, die mich auf die Gedanken brachten, gern einen Link zu Deiner Geschichte und auch den Kommentaren dazuschreiben.
Fändest Du das in Ordnung?
Viele Grüße von der Karfunkelfee
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Ob ich das in Ordnung fände? Es wäre mir eine grosse Ehre! Drum ja, gerne. Ich freue mich drauf. Vielen Dank und liebe Grüsse zurück…
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Fein…
Ich hab das jetzt gemacht…😊
Danke auch für die rasche Antwort
…
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Nochmals lieben Dank dafür!
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Ich hab zu danken…😊
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Eben, wirklich sehr gut. Die Zeilen. Vielleicht ist sie einfach zu schwierig, die Ehrlichkeit. Vielleicht ist die Ehrlichkeit sich selber gegenüber zu schmerzvoll. Vielleicht würden zu viele Wunden bluten und sich zu viele Abgründe auftun. Und vielleicht wäre das wirklich nicht sehr gut. Die Maske, sie wird brüchig werden. Irgendwann. Und sie wird dastehen und nichts mehr sagen.
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Ja, sie ist wohl schwierig, die Ehrlichkeit, schwierig und mühsam. Doch irgendwie muss es doch auch mühsam sein, den Schein zu wahren, immer wieder, oder nicht? Vielen lieben Dank dir, fürs Lesen und für die Worte und die Dinge dahinter…
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Dahinter ist nicht viel mehr…Natürlich je nachdem aus welchem Blickwinkel.
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Aus meinem Blickwinkel meinte das Dahinter die Dinge und das Du hinter deinen Worten.
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Hab ebenfalls eine gute Sicht. So Zimmer mit fantastischem Meerblick und gut temperiertem Wein. Danke!
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Und so redet man miteinander, ohne zu kommunizieren.
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Ja, Reden ist wohl einfacher… Vielen Dank fürs Lesen und für deine Worte…
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