Das Licht schwindet, Abenddämmerung, die Straßen der kleinen Stadt sind leer, leblose Venen einer schlafenden Kreatur. Einige Laternen leuchten, zwei davon flackern. Ein kleines Mädchen, es hält die Hand der Mutter, hüpft über Risse im Asphalt. Die Mutter ist schön und stolz, ihr Rücken ist außergewöhnlich gerade, sie trägt einen kurzen Rock aus leichtem Stoff, die Füße sind nackt. Da ist Wärme in ihrem Gesicht. Das Mädchen trägt ein weißes Kleid und sieht aus wie eine Prinzessin.
(erkennt man die größte Dichte)
An einer Wand hängt ein Polaroid-Foto, eine Momentaufnahme in ausgebleichten Farben. Das Gesicht eine Mannes, sehnig und kantig, keineswegs symmetrisch, aber ausdrucksstark. Im Hintergrund ist ein undeutlicher Ozean zu erahnen, der Wind hat einzelne Strähnen erfasst. Eine Frau lässt ihre Finger über das Bild gleiten, der Handrücken glitzert feucht im warmen Licht der Deckenlampe. Eine Spieldose lässt eine Melodie erklingen. Zwei Töne wirken disharmonisch. Die Spieldose ist aus Holz, eine Prinzessin dreht sich im Kreis.
(im Zurückblicken)
Vor einem kleinen Café in Porto begegnen sich zwei Reisende, zwei Fremde, eine junge Frau und ein älterer Mann. Er lächelt, sein Gesicht ist sehnig und kantig, die Augen funkeln hinter schmalen Schlitzen. Die Frau scheint verwirrt, sie bleibt stehen, erstarrt wie eine Statue, wie das Ebenbild einer Prinzessin, die niemals altert. Sie blicken sich an, erzählen Geschichten ohne Worte, stellen stumme Fragen in den freien Raum zwischen ihnen. Die junge Frau krümmt ihre Finger, gräbt sie in den weißen Stoff ihres Kleides. Sie atmet ein, möchte etwas sagen und atmet dennoch nur Schweigen aus. Als der ältere Mann ihren Arm berührt, wendet sie sich ab und geht langsam weiter, bis die Stadt sie verschlingt.
(bleichen die Farben aus)
Sie betrachtet sich in einem großen Spiegel, lässt ihre Fingerkuppen über den Stoff ihres Kleides gleiten. Wenn Weiß die Farbe der Unschuld sein soll, ist sie vor langer Zeit zur Lügnerin geworden. Hinter ihr brennen einige Kerzen, zwei davon flackern. Sie legt ihre Hand an die Wand neben sich, streichelt die Tapete, als wäre sie die Haut eines Geliebten. Hinter den Fenstern erklingt Musik, eine bekannte Melodie, einige Töne wirken disharmonisch. Sie beginnt zu tanzen, aber nicht zur Musik, sie dreht sich im Kreis, mit offenen Augen, immer schneller, bis die Welt ineinanderfließt und sich alles, was sie sieht, zu einem Bild ohne Formen vermengt.
(mit der Zeit)
Ein Mann spielt das Sterben, er wurde getroffen, er wurde erschossen, mit großer Theatralik und heulender Stimme stürzt er zu Boden, rollt über den Rasen vor dem Haus. Ein kleines Mädchen springt jubelnd auf, eine rote Wasserpistole in der Hand, es trägt ein weißes Kleid und sieht aus wie eine Prinzessin. Der Mann liegt vor ihren Füssen, noch immer ein sterbender Räuber, und die Prinzessin stellt einen nackten Fuß auf seinen Bauch, triumphierend und stolz. Die beiden beginnen zu lachen, die Zeit bremst ab. Dann legt sich die Prinzessin neben den erschossenen Mann.

Eine Schreibe wie Musik. Es gibt stumme Geschichten und es gibt welche, die werden sofort lebendig. So als ob sich eine Melodie um die Sätze legt und gleichzeitig wirst du ein Betrachter, mitten dabei. Manchmal geht es mir mit Bildern auch so, wenn ich sie betrachte. Sie scheinen zum Leben zu erwecken, tanzen vor meinen Augen und du willst den Blick nicht wenden.
Einmal die Herztaste, würde es sie nur kennen für dich…
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Vielen lieben Dank für die Herztaste und die wunderbaren Honigworte; dass du gern hier lesen magst, freut mich sehr… Danke!
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Es gibt Texte, die bitten einen zum Tanz. Und es gibt Texte, wie die von Ihnen, die fordern einen auf, das auf angenehmste, anregendste Weise, Platz zu nehmen und sich die Welt einmal genauer anzusehen. Das braucht seine Zeit, liegt mir aber zumeist näher als zu tanzen. Ein sehr schönes Innehalten und stilles Freuen, das Sie da verursacht haben.
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Das freut und ehrt mich sehr, dass Sie Platz genommen und innegehalten haben. Und ich danke von Herzen für das Lesen und die Zeit.
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