Er hatte ein kleines Unternehmen aufgebaut, und als Kraft und Motivation allmählich schwanden, legte er es in die Hände seines Sohnes, der es in seinem Sinne weiterführte. Der Vater, er war von ruhelosem Geist, auch wenn sich dies nie in aufdringlicher Weise zeigte. Er wirkte stets besonnen und geduldig, würdevoll. Nach dem beruflichen Rückzug konzentrierte er sich unter anderem auf sein diplomatisches Amt als Honorarkonsul von Gambia.
Der Präsident von Gambia ließ einst verlauten, dass er durch pflanzliche Mittel und Handauflegen in der Lage sei, AIDS zu heilen. Im Rahmen einer öffentlichen Demonstration seiner Fähigkeiten murmelte er Gebete, rieb den Brustkorb des Patienten mit einer geheimen grünen Paste ein, ließ ihn anschließend eine bittere gelbe Flüssigkeit trinken und zwei Bananen essen. Die Methode sei idiotensicher, versicherte der Präsident, und die gambische Zeitung The Daily Observer war überzeugt, diese Erfindung sei die bedeutendste in der Geschichte der modernen Welt. Millionen Menschen würden im Wissen um Heilung nach Gambia pilgern und dem Land einen unvergleichlichen Wirtschaftsboom bescheren.
Der Konsul von Gambia war ein bisweilen knurriger, aber keineswegs unfreundlicher Mann. Meistens strahlte er eine dezente Väterlichkeit aus, eine gewisse Gravität, die viele Jahrzehnte zur Entstehung benötigt. Seine Augen waren wach, seine Stimme war sonor, und wenn er von Gambia sprach, tat er es fast nie schwärmerisch, aber stets respektvoll.
Neben AIDS könne er auch Diabetes und Asthma kurieren, erzählte der Präsident von Gambia. Aus organisatorischen Gründen seien Therapien bei AIDS ausschließlich donnerstags möglich, die Behandlung von Asthma nur freitags oder samstags. Als die Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms in Gambia die Methoden des Präsidenten kritisierte und Beweise für ihre Wirksamkeit verlangte, ließ er sie ausweisen.
Hin und wieder erzählte der Konsul von Gambia von seinen Reisen in das westafrikanische Land. Wenn er schilderte, wie er am Strand von Kololi auf den Atlantik blickte, konnte man in seinen Augen die untergehende Sonne am Horizont sehen. Doch da lag auch eine merkwürdige Wehmut in seinem Blick, ein formloser Schatten, der sich nicht erklären ließ.
Er wolle König seines Landes werden, erklärt der Präsident von Gambia. Außerdem werde er, der selbst über einen Putsch an die Macht gekommen war, niemals zulassen, dass ein politischer Umsturz oder Wahlen seine Regierungszeit beendeten. Er werde Gambia mit Gottes Hilfe so lange führen, wie er wolle, und das Land in eine wirtschaftliche Supermacht verwandeln.
Von glamourösen Auftritten, Privilegien oder besonderen Vorzügen wollte der Konsul von Gambia nichts wissen. Sein Amt übte er mit Pflichtbewusstsein aus und verstand es vor allem als Dienstleistung, als Arbeit. Zwar wurde er für seine Tätigkeit bezahlt, doch sein Lohn vermochte seine Ausgaben nie zu decken. Trotzdem bewahrte er sich sein Engagement. Und wenn er jeden Monat die Identität von über hundert Rückschaffungskandidaten zu überprüfen hatte, nahm er sich für jeden einzelnen Menschen Zeit, hörte zu, mit seiner besonnenen und geduldigen Art, mit seiner Väterlichkeit und Gravität. Und jedes Mal, wenn wieder einige vergeblich nach Asyl suchende Personen in Gruppen zum Flughafen gebracht wurden und zurück nach Gambia reisen mussten, blieb der Konsul bis zum Abflug bei ihnen. Er könne sonst nichts tun, sagte er einmal, darum wolle er den Moment, an welchem diese Menschen wieder sich selbst überlassen werden, möglichst lange hinauszögern.
Die Definition von Recht und Gerechtigkeit übernahm der Präsident von Gambia nicht selten selbst. Einmal ließ er mehr als fünfzig Menschen, die auf ihrem Weg von Ghana nach Europa an der Küste in Gambia gestrandet waren, erst foltern und dann exekutieren. Über das Schicksal der kritischen Journalisten, die in Gambia verschwunden sind, lässt sich derweil nur spekulieren.
Er war ein guter Mann, der Konsul von Gambia, ein ehrenwerter Mann, altruistisch und großzügig. Wer mit ihm sprach, fühlte sich respektiert und bedeutsam, in seiner Gesellschaft war der Raum stets von einer erstaunlichen Ruhe erfüllt. Und wenn er vom Strand in Kololi erzählte, konnte man im Hintergrund die Wellen rauschen hören.
Einmal hatte der Präsident von Gambia eine gute Idee, um der wachsenden Kriminalität im Land Einhalt zu gebieten. Nachdem sein Vorhaben, sämtliche Todeshäftlinge in Gambias Gefängnissen auf einen Schlag hinzurichten, auf internationale Kritik gestoßen war, verkündete er ein Moratorium und gab bekannt, dass die Hinrichtungen zunächst ausgesetzt werden sollen. Bald darauf ließ er jedoch verlauten, dass alles von der Rate der Gewaltkriminalität abhänge. Wenn sie sinke, behalte das Moratorium seine Gültigkeit. Wenn sie steige, werde das Moratorium automatisch aufgehoben.
Als der Konsul von Gambia, mittlerweile vom Honorarkonsul zum Generalkonsul befördert, sein Amt aus Altersgründen niederlegte, schrieb er dem Staatsoberhaupt von Gambia einen Brief. Darin dankte er dem Präsidenten für dessen Vertrauen. Zwar sei er ein wenig enttäuscht, dass viele gute Ideen nicht realisiert worden und im Sande verlaufen seien, schrieb der Konsul. Doch er sei überzeugt, dass die Ziele des Präsidenten die richtigen seien, und habe sich auf dem Konsulat stets bemüht, seine Ideale zu unterstützen. Die große Beharrlichkeit der Regierung im besten Interesse Gambias verdiene seinen Beifall, erklärte der Konsul. Er betrachte Gambia als sein Zuhause und verbleibe mit aufrichtigem Dank, Überzeugung, Hingabe und herzlichsten Wünschen für das persönliche Wohlbefinden des Präsidenten.
Schwule und Lesben hätten sein Land zu verlassen, drohte der Präsident von Gambia, sonst würde er ihnen die Köpfe abschlagen. Vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärte er, Homosexualität zähle zu den größten Bedrohungen für die menschliche Existenz. Neben Gier und Weltherrschaftswahn sei Homosexualität tödlicher als alle Naturkatastrophen zusammen.
Am Strand von Kololi steht ein alter Mann, viel zu warm gekleidet und dennoch zitternd. Er sieht sich um, lässt seinen Blick über das Meer wandern, das am Horizont mit dem Himmel verschmilzt. In seinen Augen, schmal und matt und hinter zitternden Lidern, ist nichts zu erkennen, höchstens eine merkwürdige Wehmut, ein formloser Schatten. Sein Asthma ist schlimmer geworden, er keucht und krümmt sich. Das Wasser rollt in regelmäßigen Wellen ans Land, doch der Mann hört kein Rauschen. Alles ist still, alles schweigt.

Eine faszinierende Gegenüberstellung zweier Männer mit ganz unterschiedlicher Haltung.
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Vielen lieben Dank dir fürs Nachverfolgen dieser Gegenüberstellung und für deine Worte…
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