Sie konnte alles haben, konnte jeden haben, und Vera tat, was Vera konnte, obwohl es nicht war, was Vera wollte. Sie wollte gar nicht alles haben. Auch nicht jeden. Irgendwann ist alles zu wenig. Und irgendwann riechen alle Männer gleich. Manchmal hätte sie Blumen pflücken wollen. Äpfel stehlen. Die Fenster putzen. Die einfachen Dinge. Sie hätte gern einen Lottozettel ausgefüllt und sich ausgemalt, was sie mit den Millionen machen würde, nur um dann nach der Ziehung der Lottozahlen mit den Schultern zu zucken und den Lottozettel zu zerknüllen.
Einmal bat Vera einen Mann, sich Frauenkleider anzuziehen und sie mit dem Mund zu befriedigen. Der Mann tat, was Vera von ihm verlangte, er tat es gut und enthusiastisch und womöglich sogar mit Vergnügen, doch Vera empfand kein Vergnügen, keine Befriedigung. Ihr war es egal. So ungemein unglaublich egal. Sie blickte aus trüben Augen durch das geschlossene Fenster nach draußen. Irgendwo pflückte ein kleines Mädchen bunte Blumen. Doch Vera sah es nicht. Sie sah nur den Schmutz auf der Fensterscheibe. Und den Schmutz dahinter.
Mit jedem Tag, der so selbstverständlich durch ihre Welt stolperte, entwichen die Farben aus Veras Räumen. Das Licht blieb zwar hell, doch es wurde kühler. Da lagen tausend Früchte in hundert Obstschalen, doch jede Frucht war eine monochrome Lüge. Vera wollte endlich einen Apfel stehlen, rot und glänzend. Sie wollte endlich den süßen Geschmack auf der Zunge erleben. Vera füllte einen Lottozettel aus und versuchte, sich auszumalen, was sie mit den Millionen machen würde. Doch es klappte nicht. Die Leinwand blieb leer. Die Millionen hatte sie bereits oder konnte sie haben. Sie konnte tausend Früchte und hundert Obstschalen kaufen, einen ganzen Blumenladen. Sie konnte alles haben. Doch irgendwann ist alles zu wenig.
Erneut bat Vera einen Mann, sich Frauenkleider anzuziehen und sie mit dem Mund zu befriedigen. Doch der Mann winkte ab, schüttelte den Kopf und biss in einen Apfel, rot und glänzend. Vera hätte weinen können, aber sie wusste nicht, wie man Tränen macht. Stattdessen blickte sie aus trüben Augen durch das geschlossene Fenster nach draußen. Irgendwo pflückte ein kleines Mädchen bunte Blumen. Doch Vera sah es nicht. Sie sah nur den Schmutz auf der Fensterscheibe.

Im Überfluss zu leben und dabei seine Träume zu verlieren, weil jeder Traum schon erfüllt wurde,
kein Wunsch mehr offen steht, nimmt alle Freude und jeglichen Übermut, Gefühle stumpfen ab,
weil keine Steigerung mehr möglich ist.
Wundervoll glucksende Glücksgefühle gibt es in einem solchen Leben nicht mehr, nur noch ein Leben
in eintönigem, weil selbstverständlichem Luxus.
Sogar die Freude an der Liebe hat sich verabschiedet… welch eine grauenhafte Vorstellung
Arme Vera
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Ja, liebe Bruni, die Vorstellung, die du so fein umschrieben hast, sie ist tatsächlich grauenhaft. Und die reiche Vera eine arme Sau, irgendwie. Obschon sich das Mitgefühl in Grenzen hält, denn ich denke, der emotionale Reichtum hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft ab, ihn zuzulassen. Etwas, das man ja vielleicht auch mit Millionen aufm Konto schafft…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Lieber Disputnik,
als ich deinen wie stets so wohl formulierten Text las, da hatte ich zwei Assoziationen:
einmal, die Nachricht vor kurzem in den Medien, dass der nun arme Mick Jagger, weil er mit 70 seine Freundin durch Suizid verlor, insgesamt in seinem Leben wohl mit 4000 Frauen Sex hatte (wobei ich sofort lachte, als ich das las und mich fragte: hat dieser Mensch denn auch nur einmal wirklich geliebt in seinem Leben, oder war er IMMER schon nur ein Tier?!)
und zum zweiten, die Erinnerung an einen Erotikfilm, in dem ein Mann nach dem Tode in den Himmel kam, wo er IMMER das Oskar Lafontaine-sche Lebensmotto verwirklichen konnte: täglich nur Fressen, Saufen und Vögeln ohne Ende, und wo er sich dann nach ein paar Wochen damit sooooooo unendlich langweilte und sich ein Leben auf der Erde mit allem drum und dran wieder herbeiwünschte, aber Gott dies gnadenlos ablehnte und der Typ somit (folgerichtig) in tiefe Lethargie, Lustlosigkeit und Langeweile versank (Ende des Films).
Liebe Sonnengrüße
vom Lu
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Lieber Lu, vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken…
Im ersten Moment überraschte sie mich, die Assoziation mit Mick Jagger und L’Wren Scott. Doch ja, auch da ist gut möglich, dass Geld und Ruhm und Erfolg und andere Nettigkeiten noch lange nicht ausreichten, um glücklich zu leben und mit den Dingen und mit sich selbst zufrieden zu sein. Ob Herr Jagger irgendwann wirklich geliebt hat, weiß ich natürlich nicht. Bei 4000 Frauen fehlte vielleicht die Zeit und anderes, keine Ahnung.
Und der Film, der klingt interessant, und ja, ich denke, es hat schon sein Gutes, dass es im Leben mehr gibt als nur die hübschen und unbeschwerten und lustigen Sachen.
Nochmals lieben Dank für deine Worte, und ein schönes Wochenende dir…
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Die Sichtweise auf das Thema des gefährlichen weil einlullenden Wohlstands spricht mir aus der Seele!…Wenn der Überfluss Gefahr läuft, zur alltäglichen Gewohnheit zu werden, ist guter Rat so teuer, dass er auch mit den vielen Millionen auf dem Konto nicht erkauft werden kann…
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Sehr schön umschrieben, der Überfluss, der zur Gewohnheit zu werden droht, und der Rat, der für Geld zu teuer ist… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken!
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