«Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu sehen», sagt er. Ich lächle ein wenig gequält und zucke mit den Schultern, was vielleicht ahnungslos wirken soll, doch natürlich weiß ich genau, was er meint. Ein wenig betreten blickt er zu Boden, seine Schuhspitze schiebt einen kleinen Stein über den staubigen Asphalt. Ich mag ihn noch immer nicht sonderlich. Aber es ist okay. Er ist okay. Tempi passati.
«Bist du erfreut oder enttäuscht, dass ich noch da bin?» will ich wissen, obwohl mir klar ist, dass er die Frage nicht beantworten kann.
«Keine Ahnung», gibt er zurück, und ich nicke. Wir mustern uns, blicken uns direkt in die Augen, wenn auch nur zwei Sekunden lang. Dann senkt er seinen Kopf wieder.
«Es ist lange her.»
«Ja.»
«Du siehst gut aus», murmelt er. «Besser als damals. Besser als ich.»
«Danke. Du siehst noch immer so beschissen aus wie früher.»
«Ich kann mich nicht mehr verändern. Ich kann nicht mehr besser werden.»
«Ich weiß.»
«Tut es weh?» fragt er.
«Was denn?»
«Ich weiß nicht. Das Lachen. Das Leben. Mich zu sehen.»
«Das Lachen tut schon lange nicht mehr weh. Das Leben auch nicht. Dich zu sehen… Vielleicht ein bisschen.»
«Entschuldigung.»
«Kein Problem.»
«Wirklich?»
«Ich kann nicht so tun, als gäbe es dich nicht. Ich will auch nicht so tun. Doch nicht selten vergesse ich dich. Vielleicht nicht vollständig, es ist nicht so, dass du gar nicht mehr existent bist. Aber du bist nicht mehr präsent. Da ist dieser Schatten. Und manchmal ist er kaum zu sehen.»
«Schämst du dich?» flüstert er mit zitternder Stimme. Ich schüttle den Kopf.
«Um Scham geht es nicht. Ging es nie. Auch nicht um Stolz oder Zorn.»
«Um Reue?»
«Vielleicht», antworte ich. «Nein, nicht wirklich um Reue, schon gar nicht um Schuld. Wohl eher um Bedauern.»
«Was bedauerst du?»
«Ich weiß es nicht genau. Den Verlust der Zeit vielleicht.»
Er nickt und blickt ein wenig betreten zu Boden, seine Schuhspitze schiebt einen kleinen Stein über den staubigen Asphalt. Ich mag ihn noch immer nicht sonderlich. Aber es ist okay. Er ist okay. Tempi passati.

Manchmal ist „okay“ das beste, worauf man hoffen kann… Was zwischen den beiden wohl vorgefallen ist?
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Ja, manchmal reicht „okay“ auch völlig aus… Ein „zwischen“ gibt es eigentlich nicht, die Person ist grundsätzlich die gleiche, nur die Zeit ist anders, und genau diese Zeit ist es wohl, die vorgefallen ist… Vielen Dank fürs Lesen und für deine Gedanken…
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Also doch die gleiche Person? Es klang sowas an, aber ich war nicht sicher. Danke für die Antwort!
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Ich habe zu danken, noch einmal, fürs Lesen und Interessiertsein und deine Worte…
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