Stegosaurus, Pterodactylus, Diplodocus, Spinosaurus, Triceratops, Tyrannosaurus Rex, Ceratosaurus – sie kannte sie alle, natürlich auch den Brachiosaurus, den mochte sie am liebsten, damals als Kind. Zwar hörte sie oft, dass Dinosaurier etwas für Jungs wären, während sie sich als Mädchen doch besser für Ponys und Pferde interessieren solle, doch Ponys und Pferde waren ihr vollkommen egal. Ihre Welt war die Welt vor Jahrmillionen, zwischen der Mitteltrias und der Kreide-Tertiär-Grenze.
Die Menschen, sie stolpern über die Felder, über gefrorene Erdklumpen, aus denen jedes Leben entwichen scheint. Einige hinken und humpeln, manche gehen eilig, die meisten rennen. Sie rennt nicht. Sie steht nur da und schaut zu. Wenn die Sonne durch den Nebel bricht, presst sie ihre Augenlider zusammen und öffnet sie wieder, ganz langsam, ganz vorsichtig. Sie fragt sich, ob sie sich jemals an das Licht gewöhnen wird. Als sie früher in ihren Dinosaurierbüchern blätterte, war es noch nicht so hell.
Es war wohl ein Meteoriteneinschlag. Oder Vulkane oder das Klima, vielleicht. Jedenfalls starben die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren aus. Sie erinnert sich an ein gezeichnetes Bild in einem ihrer Bücher. Einige Dinosaurier rannten mit entsetzen Gesichtsausdrücken über die Felder, während glühende Brocken über den Himmel zogen und vereinzelt bereits eingeschlagen waren, irgendwo hinter den Hügeln. Sie betrachtete das Bild jeden Tag, fand es unglaublich schrecklich und unglaublich schön.
Sie sitzt in einem schweigenden Raum und blickt aus einem Fenster, hinaus auf die Felder und die Hügel, hinter denen das Licht des Tages allmählich verblasst. Alles ist Wirklichkeit, sie ist umgeben von der Realität, jedes Wort, jeder Kuss und jeder Krieg ist eine Tatsache. Jedes Foto zeigt eine Version der Wahrheit, doch keines zeigt die glühenden Brocken am Himmel. Wenn sie die Augen schließt, sieht sie die Dinosaurier rennen. Nur der Brachiosaurus rennt nicht. Er steht nur da und schaut zu.

ein feiner Text, der Spielraum läßt für so viele Gedanken.
Ich kann ihr Interesse gut nachvollziehen, das anziehende Geheimnis dieser Zeit, der gigantischen Tiere,
die plötzlich verschwanden…
noch heute lebt sie in dieser Erinnerung…
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Liebe Bruni, vielen herzlichen Dank für deine Gedanken und dafür, dass du den Spielraum genutzt hast; die Texte mögen das jeweils sehr…
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