Vielleicht ging es gar nie um die Strumpfhosen.
Er meinte, die Farbe sei schrecklich und ihre Beine seien dick und krumm, er könne die gelben Dinger nicht mehr ertragen, sie seien eine Beleidigung für sein Auge. Er sprach mit einer süffisanten Selbstgefälligkeit in der Stimme, schleuderte ihr weitere unschöne Worte entgegen, und sie, sie schleuderte ihm eine schöne Kaffeetasse an den Kopf. Die Haut platzte auf, das Blut rann in dünnen Linien über sein Antlitz, und als es bei seinen Lippen angekommen war, löste er sich aus seiner verdutzten und ziemlich lächerlich wirkenden Schockstarre und begann zu fluchen, kam auf sie zu und schlug mit seiner Faust in ihr Gesicht. Sie taumelte nach hinten, prallte an den Kühlschrank und glitt ein wenig ungelenk zu Boden. Er ging einen Schritt auf sie zu, spuckte auf ihren Kopf und trat ihr in den Bauch. Dann ging er langsam aus der Küche, riss im Korridor einige Schränke auf, warf das kleine Regal um, verließ die Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.
Auf der Bluse und auf dem Rock waren kleine und größere dunkelrote Flecken zu sehen, also zog sie beides aus und legte sich auf das Bett, nur mit den gelben Strumpfhosen bekleidet. Sie weinte, doch die Tränen brannten auf der Haut, also hörte sie wieder auf. Leicht zitternd presste sie ihre Augenlider zusammen, bis erste Sterne funkelnd zu tanzen begannen. Irgendwann drangen diffuse Bilder durch den Tanz.
Da war sein Lächeln nach dem ersten Satz, den er zu ihr sagte. (Frauen in gelben Strumpfhosen sähen in der Regel scheiße aus, hatte er gemeint, doch sie wäre die Ausnahme von dieser Regel, und eine wunderschöne dazu. Sie mochte diese direkte Art, sie mochte auch das Lächeln, und gerade in jener Zeit schien sie sich in jeden Mann zu verlieben, der ihr ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit schenkte.) Da war die dunkelrote Picknickdecke im Park. (Er hatte sie von der Arbeit abgeholt, kaum ein Wort gesprochen und auf ihr wiederholtes Nachfragen, wohin sie eigentlich unterwegs seien, immer wieder geheimnisvoll gelächelt. Schließlich führte er sie zu einer Stelle in einem kleinen Park, wo er ein kleines Picknick vorbereitet hatte. Er füllte zwei Gläser mit Weißwein und meinte, sie und er, das sei etwas Wahres, etwas Gutes. Dann fragte er, ob sie mit ihm zusammenziehen wolle, und sie nickte, während sie sich bemühte, die Tränen zurückzubehalten.) Da war das Funkeln in seinen Augen. (Es herrschte eine angespannte Stimmung an jenem Abend, und sie hatte deutlich gesagt, dass sie im Moment nicht mit ihm schlafen wolle, doch er wischte ihren Einwand ziemlich energisch weg und drückte sie zu Boden. Irgendwann hörte sie auf, sich zu wehren. So ist’s recht, zischte er, und sie merkte, wie die Magensäure in ihren Hals stieg.) Da waren die roten Rosen auf dem Tisch. (Er hatte nie versäumt, sich zu entschuldigen, wofür auch immer, und jedes Mal versprach er, dass es das letzte Mal gewesen sei, dass alles besser werden würde, und jedes Mal glaubte sie ihm. Nicht immer bekam sie Blumen, und wenn, dann meistens Rosen. Manche verwelkten, andere standen noch relativ frisch auf dem Tisch, als bereits die nächste Entschuldigung kam.) Da war das Foto, das sie beide vor dem Eiffelturm zeigte. (Ein alter Mann hatte sich bereit erklärt, sie beide zu fotografieren, und als der Alte danach zu ihr sagte, dass sie eine schöne Frau sei, war er wütend geworden, hatte den Alten am Kragen gepackt und zu Boden geschubst. Sie fand, er hatte überreagiert, und sorgte sich um den alten Mann, doch er zog sie weg.) Da war das Paket mit der Unterwäsche aus schwarzer Seide. (Sie trug Seide nicht sonderlich gern, fühlte sich darin nie so richtig wohl und hatte ihm dies auch schon mehrere Male gesagt, aber er war überzeugt, dass sie darin bestimmt toll aussehen und sich noch viel toller anfühlen werde, nur die gelben Strumpfhosen dürfe sie dazu nicht tragen. Sie bedankte sich bei ihm und war eigentlich auch ziemlich erfreut über das Geschenk, obschon ein seltsames Gefühl durch ihre Glieder kroch.)
Sie liegt noch immer auf dem Bett, in ihren gelben Strumpfhosen, mit einem metallenen Geschmack im Mund. Sie erinnert sich daran, dass er sie einmal in gespieltem Ernst vor die Entscheidung gestellt hatte; entweder er oder die verdammten gelben Strumpfhosen. Sein Lächeln ließ sie damals annehmen, dass er es tatsächlich scherzhaft gemeint hatte, doch nun ist sie nicht mehr sicher. Sie blickt auf den kleinen Wecker auf dem Nachttisch. Der große Zeiger zittert sich nach oben.
Vielleicht ist es Zeit, sich zu entscheiden. Vielleicht ist es Zeit, dass der Wecker klingelt. Vielleicht ging es gar nie um die Strumpfhosen.

es geht nie um die Strumpfhosen…
Was für ein füchterliches Bild zeichnest Du da und ich glaube nicht mal, daß es überzeichnet ist, sondern daß es oftmals in der Realität ähnlich abläuft, aber
um die Strumpfhosen geht es nie…
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Nein, um die Strumpfhosen geht es wohl nie… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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