Wenn sie den Atem anhält und die Augen schließt, hört sie das Summen, spürt das sanfte Vibrieren. Manchmal wohnt einem Flügelschlag die gewaltigste Kraft inne. Manchmal erzählt eine kleine Bewegung eine größere Geschichte als jedes Buch. Und manchmal überdauert eine Berührung alle Zeiten.
Bienen verfügen über eine visuelle Erinnerung, eine Art Landkarte im Gedächtnis.
Damals betrachtete sie ihren Körper im hellen Licht des Tages, in der Dämmerung des Abends, im schwachen Schein einiger Kerzen. Doch niemals erkannte sie ihn deutlicher als in jenen Momenten, in welchen sie ihren Fingerkuppen das Sehen überließ. Diese Klarheit in jedem Winkel, diese Dringlichkeit in jeder Kontur. Sie fand niemals Worte für die Schönheit. Und ließ stumme Lippen sprechen.
Selbst feinste Erschütterungen spüren Bienen in ihren Beingelenken, zur haptischen Wahrnehmung dienen die Haare auf den Antennen und über den ganzen Körper verteilte Sinnesborstenfelder.
Es gab keine Zeit mehr. Es gab kein Außen mehr. Es gab keine zementierten Fassaden, keine staubigen Gehwege, kein graues Geröll, keine fremden Gesichter. Es gab nur noch sie, zwei Frauen in einem Raum, zwei Körper auf einem Bett. Irgendwo und da und dort der Lärm, das Rufen, das Flehen und das Johlen, doch sie, sie waren nicht da, sie waren nicht dort. Sie waren bei sich, ausschließlich und bedingungslos.
Wenn Bienen stechen, hält ein Widerhaken den Stachel in der Haut, Gift wird in den Körper gepumpt.
Irgendwann kehrte die Welt zurück. Das tut sie immer, und dieses Mal tat sie es mit einem Getöse, das jedes Leben erstarren ließ. Es gab keine Schuldigen, keine Täterin, nur Opfer. Opfer der Umstände, Opfer der äußerlichen Einflüsse, gegen die selbst die Kraft ihrer Liebe nicht als Mittel genügte. Nach der Wut und der Angst kam der Stich. Nach dem Stich kam das Gift. Mit dem Gift kam die Leere.
Fliegt die Biene weg, reißt sie sich ihre Stechorgane mit der Giftdrüse aus dem Hinterleib und stirbt an der entstandenen Verletzung.
Sie liegt zwischen den Laken, zwischen dem Leben und dem Tod. Sie lässt ihre Finger über ihre nackte Haut gleiten, auf der Suche nach entschwundenen Augenblicken. Manchmal glaubt sie eine Berührung zu erkennen, Fragmente fügen sich zu Bildern zusammen. Wenn sie den Atem anhält und die Augen schließt, hört sie das Summen, spürt das sanfte Vibrieren. Doch die Biene fliegt weg, die Welt kehrt zurück. Und was bleibt, ist das Gift.

So sehr der Sex durch die Natur gefordert wird,
so sehr die Natur auch sich durchsetzt in ihrem Verlangen,
wir bleiben immer nach dem Lust-Exploit wie in Gedanken gefangen,
in einem giftig-klebrigen Netz vieler rätselhafter Fragen über Fragen…
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Vielen Dank für deine Worte, lieber Finbar… Nach dem Gipfel der Lust gefangen im Netz der Fragen; sind wir das immer? Oder ist da nicht auch manchmal einfach nur diese erfüllende Leere? Ein Rätsel womöglich, aber keines, das enträtselt werden will?
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