Die Schildkröten sind schuld. Die Schildkröten haben gelogen. Sie sangen davon, zusammen glücklich zu sein, oder glücklich zusammen, wie auch immer. Auf jeden Fall glücklich. Auf jeden Fall zusammen. Er denke Tag und Nacht an sie, denke an das Mädchen, das er liebe, und halte sie fest. Er werde nie eine andere lieben können, sie sei die Einzige für ihn, für den Rest des Lebens, wie auch immer die Würfel fallen. Der Himmel werde blau sein. Der Himmel werde blau sein, für den Rest des Lebens.
Das war damals. Jetzt liegt sie im Bett, im schwachen Licht einer kleinen Laterne, und hört das Rauschen. Es regnet. Draußen vor dem Fenster hat die Nacht den Himmel schwarz angemalt.
Der kleine Sohn meinte kürzlich, er wolle Schildkröten haben. Als Haustiere. Niemand wusste, weshalb sie daraufhin zu weinen begann. Dem Sohn konnte sie es nicht erklären. Er hätte es nicht verstanden. Dem Mann… Dem Mann konnte sie es ebenfalls nicht erklären. Auch er hätte es wohl nicht verstanden. Und er hätte nicht zugehört. Die Schildkröten sind schuld. Die Schildkröten haben gelogen.
Schildkröten haben einen Panzer. Damit können sie sich verteidigen. Auch sie hat einen Panzer. Er ist zwar nicht greifbar, nicht real, aber es ist ein Panzer, immerhin. Auch wenn er manchmal nicht von Nutzen ist. Vor allem dann, wenn sie auf dem Rücken liegt, in diesen sporadischen Momenten, die zumindest eine physische Nähe erzeugen. Er mag es auf diese Weise, ausschließlich auf diese Weise. Er legt sich auf ihren Körper, sie liegt auf ihrem Rücken und der Panzer ist nutzlos. Er dringt vor, er dringt ein, unerbittlich und mechanisch, wie ein Panzer. Sie lässt es zu. Es ist ziemlich schrecklich, aber auch ziemlich egal. Schrecklich egal. Während sie darüber nachdenkt, wundert sie sich, wie das Wort Panzer für ein Ding der Verteidigung und für ein Ding des Angriffs steht. Sie lächelt ob der Paradoxie. Und sie lächelt, weil sie sich noch zu wundern vermag. Dann hört sie auf zu lächeln. Sie hat keinen wirklichen Panzer. Schildkröten haben einen Panzer. Und die Schildkröten haben gelogen.
Lügen kann sie auch. Sie kann es gut, selbst ohne Worte. Ihr Dasein ist eine Fälschung, die Imitation eines Lebens, und sie, sie schummelt sich durch. Die Lüge ist allgegenwärtig, durchdringt die Zeit und die Dinge. Die Lüge, sie liegt neben ihr und schnarcht. Sie sehnt sich nach einem Moment der Wahrheit, obwohl sie weiß, dass es ihn nicht geben kann. Trotzdem denkt sie sich weg. Sie streift alles ab, was nach Lüge riecht, den alten Slip und das verwaschene T-Shirt mit der aufgedruckten Schildkröte. Sie schließt die Augen und flüchtet, hin zu einem blauen Himmel, unter welchem die Leere sich verflüchtigt, hinein in Arme, die zwar fremd sind, sich aber vertraut anfühlen. Ihre Finger wandern zitternd über die warme Haut, von den Brüsten über den Bauch bis zum Schoss. Mit einer Hand umklammert sie die Decke, bis die Knöchel schmerzen. Irgendwann bäumt sie sich auf und lässt sich wieder fallen, zurück auf die Matratze, zurück in die Lüge.
Die Schildkröten sind schuld. Die Schildkröten haben gelogen. Und das, was ihr die größte Angst bereitet, ist jene Stelle, die wohl keine Lüge war. Für den Rest des Lebens. Sie liegt im Bett, im schwachen Licht einer kleinen Laterne, und hört das Rauschen. Es regnet. Draußen vor dem Fenster hat die Nacht den Himmel schwarz angemalt.

Zum Nachhören: Die Lüge der Schildkröten.