Es ist still, das Wasser verschlingt jedes Geräusch, bevor es entsteht. Er ist abgetaucht. Wie ein träger Astronaut schwebt er unter dem Spiegel, schroff eingerahmt von fernen Ufern. Einige Pflanzen tanzen langsam und taktlos vor seinem Auge, hin und wieder leuchtet kurz das Schuppenkleid eines Fisches auf. Mehr ist nicht da, das ist alles, was ihn umgibt; sein Umfeld lässt die unzähligen Dinge der Welt vermissen, aber er vermisst sie nicht, und die Leere war vorher schon da. Nur die Luft fehlt manchmal. Die Luft ist draußen. Er schiebt einen Strohhalm nach oben, und nicht selten hat er Angst, dass ihn jemand ergreift. Doch die Angst ist nur eine weitere Sache, die allmählich taub wird. Er atmet ein, und von Zeit zu Zeit fragt er sich, ob genügend Luft in seinen Körper dringt und ob er sie wirklich braucht. Die Luft ist draußen. Er ist drinnen, ist hier unten, es ist seltsam warm, und dennoch friert er, etwas lässt ihn erschaudern. Er überlegt, ob er die Welt da oben ausgesperrt hat oder ob er eingesperrt ist in der körperlosen Masse, die ihn umfließt, aber eigentlich spielt es keine Rolle, überhaupt spielt nichts und niemand eine Rolle, das Theater verbleibt an der Oberfläche, dringt nicht in die Tiefe. Die Luft ist draußen. Und damit jedes Staubkorn, jede Stimme, jeder Windstoß, jeder Geruch und alles, was Erinnerungen und Sehnsüchte wecken könnte, denn Erinnerungen und Sehnsüchte, sie brauchen Luft, und ein Strohhalm reicht dafür nicht aus. Vielleicht ist er deshalb abgetaucht, vielleicht war er auf der Flucht vor den Erinnerungen und den Sehnsüchten, vor den Trugbildern und den Irrwegen. Sein Strohhalm zittert wie ein Schilfrohr im Sturm, doch er weiß, dass da kein Sturm ist, nicht einmal eine leichte Brise. Die Luft ist draußen. Mehr nicht. Der Sturm tobt in seinen Knochen, in seinen Adern, in den Nervenbahnen. Aber auch dort wird allmählich alles taub. Es ist still, die Pflanzen tanzen, und er atmet ein.

Wunderschön geschrieben und dieser Text lässt so viel Raum für eigene Gedanken (was eigentlich jeder Text von dir zulässt)… dieser eine Strohhalm, an dem man sich hält, die Flucht in ein Leben entfernt vom eigenen, den Wunsch, die Gedanken und Erinnerungen zu ersticken,… ich werde wohl noch einige Zeit mit diesem Text in meinem Kopf verbringen, danke dafür 🙂
LikeLike
Vielen lieben Dank für deine Worte, und dass sich jemand bei oder nach dem Lesen Gedanken über das Gelesene macht, ist wahrscheinlich das Beste, was den Texten passieren kann… Danke!
LikeLike
er atmet ein – da unter der Oberfläche
er braucht noch eine Zeit, aber er wird wiederkommen, denn er atmet ein.
Nur ein Strohhalm, aber einer, der das Notwendigste gibt,
den Sauerstoff bis zum nächsten Atemzug. Das reicht für den Moment.
Mehr will er nicht… im Moment
Wundervoll passend zum Foto – eine Einheit
LikeLike
Ja, er wird wohl irgendwann aufgetaucht oder aber endgültig untergegangen sein. Die erste Variante gefällt mir deutlich besser…
Vielen herzlichen Dank für deine Worte, liebe Bruni!
LikeLike
Wow!Ich bin sehr beeindruckt/gerührt- der Text geht mir unter die Haut!
LikeLike
Oha! Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte!
LikeLike