Eine rhythmisch blinkende Sternschnuppe gleitet langsam über den Himmel, der Mond steht zur Hälfte gefüllt über den fernen Hügeln, die Luft ist klar und kalt. Unter ihm das Wasser, ein unstillbares Rauschen, und vielleicht zum ersten Mal hat er Angst. Höhenangst. Früher konnte er auf dem Geländer sitzen, einige Male gar stehen, auf der unteren Querverstrebung, während die obere in die Kniekehlen drückte, und zu all den Gefühlen, die abwesend waren, zählte auch die Angst, zumindest die meisten Ängste. Einige waren wohl immer da, aber stets diffus, nicht greifbar. Und jetzt also Höhenangst.
Er steht auf dem asphaltierten Teil der Brücke, zwei Schritte von den Gleisen entfernt, seine Finger umklammern das kalte Metall des Geländers. Wenn er nach unten blickt, spürt er einen leichten Schwindel in sich aufkeimen, der sicher geglaubte Boden scheint sich zu verschieben, die Handflächen werden glitschig und kalt. Er war schon oft hier, mit unterschiedlicher Entschlossenheit, aber meistens sehr nahe am kritischen Punkt, der keine Rückkehr kennt. Warum er ihn nie überschritt, weiß er nicht genau, häufig spielte seine Mutter eine Rolle, manchmal auch das zaghafte Aufflackern eines Feuers. Und jetzt also Höhenangst.
Erneut wirft er einen Blick in die Tiefe, er fällt weit, hinein in die rauschende Dunkelheit, und die Welt dreht sich. Er lacht kurz auf, das Gesicht schmerzt ein wenig. Die Welt dreht sich, denkt er und ist irgendwie verblüfft, dass sie es tut, dass er es spürt. Bis anhin pflegte er sich nicht dafür zu interessieren, es war ihm egal, und die Distanz zwischen dem Brückengeländer und dem Wasser des Flusses war ihm ebenso egal. Die Höhe war stets seine Komplizin. Und jetzt lässt sie ihn erschaudern. Und jetzt also Höhenangst.
Später geht er nach Hause, vorbei an den schweigenden Gebäuden mit den schwarzen Fenstern und den Schatten in den Gärten. Er tat dies jedes Mal, fühlte sich dabei seltsam schuldig und noch unzureichender als gewohnt. Nun ist er verwirrt. Auch das war er meistens, verwirrt und konsterniert, doch dieses Mal ist es anders. Die Traurigkeit ist noch da, auch die Zweifel, die Enttäuschung, die Kargheit. Aber früher war das leere Rauschen lauter. Und jetzt also Höhenangst.

er hat eine Freundin gefunden, die Höhenangst, sie mag ihn, hält ihn fest, und holt ihn ins Leben zurück, auf die Seite des diesseits zumindest…
wo letzten Endes „mehr“ gelebt wird, ob hier oder dort, im Jenseitsort, das weiß ja eh niemand…
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Ja, die Freundin, die Höhenangst, sie hält ihn fest, hält ihn hier, und manchmal ist es besser, Angst zu haben, als keine Angst zu haben… Vielen Dank für deine Gedanken, lieber Finbar (und schön, dass du wieder da bist…)
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ja, Du hast recht, es gibt da diese feine Unterscheidung und sie ist sehr wichtig
das SpürenKönnen ist es…
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Ja, das SpürenKönnen ist allgemein sehr wichtig… Lieben Dank nochmals für deine Worte…
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er stellt sich dem Ende
wieder und wieder
fühlt sich im Leben so leer
voller Zweifel
mit tiefer Traurigkeit
über das was er ist
bis er diese neue Höhenangst spürt
und ich überlege
ob sie ihn wohl zum
Leben verführt?
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Es ist nicht die Höhenangst,
die ihn zum Leben verführt,
aber dass er sie spürt,
macht den Wert des Lebens bewusst…
Vielen Dank für deine Worte, liebe Bruni…
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