Der Mann neben ihr schläft. Schnarchend und schnaubend, wie so oft nach Abenden und Nächten, in denen zu viel geredet wurde, zu viel getrunken, zu viel geflucht. Sie liegt wach, im schwachen Licht eines trüben Morgens. Draußen vor dem Fenster fahren vereinzelte Autos über den nassen Asphalt. Es rauscht, doch das tut es immer. Sie schiebt die Decke zur Seite. Er liegt nur eine Armlänge entfernt von ihr. Doch er ist weit weg.
Früher schliefen sie eng umschlungen ein und wachten eng umschlungen auf. Zumindest manchmal. Doch dieses Früher ist ein stacheliges Ding, und jedes Mal, wenn sie sich ihm nähert, schreckt sie zurück. Manchmal tut es weh. Doch schlimmer ist es, wenn es nicht mehr schmerzt. Er hat sich verändert. Sie auch, wohl noch mehr als er. Und vielleicht hat er sich gar nicht wirklich verändert. Vielleicht ist er noch immer der gleiche wie damals. Vielleicht liegt es daran. Vielleicht ist die Zeit schuld. Die Zeit und was sie aus ihnen gemacht hat.
Sie schließt die Augen und denkt sich weg, denkt sich hinaus aus dem grauen Zimmer und hinein in einen warmen Raum. Er ist nicht echt, der Raum, hat keine Adresse, keine Koordinaten. Da sind Bilder an der Wand, aber sie kann keines davon erkennen, die Konturen fließen aus den Rahmen und vermengen sich zu einer abstrakten Kulisse. In der Mitte ist eine Bühne aufgebaut. Ihre Bühne. Sie liegt auf einem Bett, spürt den weichen Stoff unter sich. Es ist nicht ihr Bett, sie weiß nicht um dessen Dimensionen und Grenzen. Es scheint endlos, und wenn sie ihre Arme ausstreckt, erreichen sie nirgends eine Kante.
Als eine Hand sie berührt, zuckt sie leicht zusammen, und einen Moment lang scheint der Raum sich aufzulösen, die Wände zittern. Dann wird es wieder ruhig, und sie bemerkt, wie sich Fingerkuppen sanft über ihre Haut bewegen. Die kleinen Härchen richten sich auf, recken sich im wachsenden Sehnen nach einer Begegnung. Die Finger wandern über ihren Oberarm, ihre Schulter, stolpern spielerisch zwischen ihre Brüste. Dann lösen sie sich, doch bevor Enttäuschung in ihre aufkeimen kann, nehmen Lippen die begonnene Spur wieder auf, benetzen die Haut, während die Zunge sachte ihre Brustwarzen umkreist.
Vorsichtig öffnet sie ihre Augen und blickt in ein Gesicht. Sie kennt es nicht, kann nicht darin lesen, da sind keine Erinnerungen eingekerbt, und dennoch ist jeder Winkel, jedes Fragment von einer seltsamen Vertrautheit erfüllt. Das Gesicht, es wirkt wie ein loses Gebilde, das sich allmählich zusammenfügt. Das Erkennen kommt schleichend und legt sich als warmer Schauer um ihren Leib. Da ist kein Name, keine Sprache, keine bekannte Struktur. Da ist nichts, um sich festzuhalten, und trotzdem ist da eine Gewissheit, die keiner Erklärung bedarf. Und da ist ein Lächeln, das ihr ins Herz fährt.
Die Hand wandert über ihren Bauch, langsam und dennoch entschlossen, und als sie die Finger zwischen ihren Beinen spürt, bäumt sie sich leicht auf, hebt ihr Becken an und lässt es wieder auf die Matratze fallen. Ihr Atem wird schneller, sie windet sich unter den Berührungen, die stetig intensiver werden, immer tiefer dringen. Irgendwann beißt sie sich auf die Unterlippe, so heftig, dass sie ihr Blut zu schmecken glaubt, es ist süß und lieblich, ein Geschmack, den sie längst vergessen hatte. Sie verkrampft sich, stöhnt leise, ihr Körper erzittert leicht. Schließlich entspannt sie sich, und alles wird still. Über der Bühne schwebt der Staub des verblassenden Momentes. Dann fällt der Vorhang.
Draußen vor dem Fenster fahren vereinzelte Autos über den nassen Asphalt. Es rauscht wieder, wie immer. Sie streckt ihren Arm aus, so weit es geht, doch alles, was er erreicht, ist der schwerfällige Körper des Mannes, der noch immer neben ihr schläft, schnarchend und schnaubend. Er liegt nur eine Armlänge entfernt von ihr. Doch sie ist weit weg.
Ich hatte jahrelang einen Ehemann an meiner Seite und doch fühlte ich mich so alleine…und er merkte es nicht, auch als ich es ihm sagte…daher trennte ich mich, bin alleine, ohne Partner, aber lieber so, als einen Partner zu haben und doch Das Gefühl zu haben ich bin alleine…aber mir fehlt aber und zu die Zweisamkeit…denke aber ich steh mir selber im Weg..
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Ich weiss nicht, wer oder was dir im Weg steht, du oder die Angst, doch ich hoffe sehr, dass du einen Weg zur Zufriedenheit findest und/oder ihn dir bewahrst… Und ja, irgendwie klingt das Wort Einsamkeit in einer Beziehung noch trauriger als ohne… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine offenen Worte…
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Beschreibt sehr gut, wie es noch vor ein paar Wochen in meiner Beziehung aussah … das Blatt konnte ich zum Glück wieder auf die glänzende Seite wenden. Vorerst. Mein Blog handelt davon.
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Schön, das (vorerst) gewendete Blatt… Lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte. Und die grosse Herzscheisse schau ich mich gern mal an…
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Du beschreibst das Gefühl so gut, wenn der Mensch, den man einmal sehr geliebt hat, einem so fremd wird, dass man trotz seiner Nähe unendlich einsam ist. Längst in einer anderen Welt lebt.
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Vielen Dank, liebe Sandra, fürs Lesen und für deine Worte. Ja, auch die grösstmögliche Nähe ist wohl wenig wert, wenn sie nur ausserhalb ist. Und nicht im Innern.
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fast könnte man meinen, Du siehst in die Gedanken der Frauen hinein, lieber Disputnik.
Du errätst sie gut, kennst wohl ihre Träume und läßt ein Wunder für diese eine in Deinem Text entstehen.
Mit einem Lächeln wird sie durch ihren Tag gehen und ER wird sich wundern, kennt er doch nur noch
dieses andere, das Alltagsgesicht und wenn es lächelte, dann sah es bisher anders aus…
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Vielen lieben Dank für deine Worte und die Blumen, liebe Bruni, auch wenn ich gestehen muss, dass ich kaum meine eigenen Träume wirklich kenne, geschweige denn andere… Ja, er wird sich vielleicht wundern, oder vielleicht liegt genau darin das Problem; dass er längst aufgehört und verlernt hat, sich zu wundern…
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