Der Mond ist eine Sichel, die Klinge schneidet Ritzen in den Himmel, in denen sich die Sterne verstecken können, wenn sie mögen. Auch sie versteckt sich. Versteckt sich vor den Augen, den stechenden, den musternden. Versteckt sich vor den Händen, den schubsenden, den haltenden, den streichelnden und schlagenden. Versteckt sich vor den Stimmen, den rufenden und flüsternden, den fluchenden, verfluchenden. Sie versteckt sich in ihrem Zimmer, in dem es nie richtig hell und nie völlig dunkel wird, eine ständige Dämmerung ohne Anfang oder Ende. Sie versteckt sich und sperrt alles aus; den Mond, die kühlen Regentropfen, den Duft von Thymian oder Rosen, die Menschen. Nur sich selbst sperrt sie ein. Und nur vor sich selbst kann sie sich nicht verstecken.
Ein halber Liter. So viel Luft trinkt sie normalerweise in einem Atemzug. Und ungefähr fünfzehn Mal pro Minute nimmt sie einen Schluck. Doch nun hat sie keinen Durst mehr. Hier in ihrem Versteck schmeckt die Luft nach verbrauchter Zeit, nach der Banalität der grauen Wände, nach den Ausdünstungen ihres Körpers, und der Geschmack ist ihr zuwider. Sie erinnert sich nicht daran, wann sie das Leben zuletzt in ihrer Lunge spürte, und sie weiß nicht mehr, wie es riecht, wenn ein Sonnenstrahl auf die Wasseroberfläche prallt. Die zerknüllte Plastiktüte raschelt in ihrer Hand, und sie versucht, sich einzureden, es sei das Rauschen des Meeres. Es gelingt nicht mehr, das Einreden. Ebenso wenig wie das Verstecken. Sie blickt aus dem Fenster, hinauf zum Himmel. Der Mond ist eine Sichel, die Klinge schneidet Ritzen in den Himmel, in die sich die Sterne geflüchtet haben. Sie trinkt, einen halben Liter. Plastik liegt in der Luft. Sie trinkt einen weiteren Schluck. Und noch einen. Sie werden kleiner, die Schlucke, immer kleiner. Kein halber Liter mehr.

… und nun ritzt auch sie wieder – genau das geht mir im Kopf herum –
und die Klinge schneidet, nicht den Mond verletzt sie diesmal, nein, ein Menschenkind, eines das sich selbst nicht mehr erträgt
Eine entsetzliche Vorstellung, unvorstellbar und leider so oft wahr
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Liebe Bruni, vielen Dank für deine Worte… Ja, wer andere Menschen nicht mehr ertragen mag, kann ihnen entfliehen, sich vor ihnen verstecken, doch sich selbst nimmt man immer mit…
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Und während dem Lesen hätte ich beinahe selbst für einen Augenblick das Atmen vergessen. Wirklich großartig geschrieben.
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Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte… Und bitte weiteratmen, ja?
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