Die Musikkassette war noch an der Macht, man sprach aber immer häufiger von der CD, und einige davon standen auch bereits in den Läden. Wir waren damals Kinder und hatten keine Ahnung von diesen seltsamen Silberscheiben, keiner wusste viel darüber, keiner außer Peter. Der Peter. Die CD, die sei im Innern flüssig, belehrte er uns, und wenn man sie aufrecht hinstelle, würde diese Flüssigkeit nach unten laufen und die CD somit kaputt gehen. Zwar zweifelten wir seine Argumentation an, denn in den Verkaufsregalen stand jede einzelne CD in eben dieser von ihm als verhängnisvoll beschriebenen Stellung, was wenig sinnvoll anmutete. Doch wir wussten es selbst nicht wirklich besser, also widersprachen wir dem Peter nicht.
Der Peter. Seine ganze Familie badete ein Mal pro Woche, jeweils am Samstag, alle im gleichen Wasser, und wenn der Peter als zweitjüngstes Kind in die Wanne stieg, war das Wasser längst kalt. Ihn störe das nicht, meinte der Peter, und das war etwas, was wir ihm vorbehaltlos glaubten. Der Peter. Er redete viel, und er wusste alles. Zumindest fand er für alles eine Erklärung. Im Nachhinein war kaum eine davon plausibel, doch zu jener Zeit war er uns mit seiner kreativen Weisheit einen entscheidenden Schritt voraus, wenn auch zumeist in falscher Richtung.
Der Peter. Er kannte berühmte Menschen, hatte bereits einen Berg bestiegen, war ganz alleine zur Quelle des Dorfbachs im fernen Gebirge gelaufen, und von den Kaninchen, die vor seinem Haus in einem kleinen Stall wohnten, hatte er zweien eigenhändig den Hals umgedreht. Wir schenkten seinen Aussagen oft nur wenig Glauben, konnten in der Regel aber auch nicht beweisen, dass sie dem Reich seiner Vorstellungskraft entsprangen, und so blieb stets die diffuse Möglichkeit, dass der Peter tatsächlich jener Teufelskerl war, als welchen er sich stolz darstellte. Mit der Zeit und mit unserem wachsenden Allgemeinwissen nahmen seine abenteuerlichen Erzählungen allmählich ab, irgendwann blieben sie gänzlich aus, und schließlich verloren wir uns aus den Augen.
Heute weiß ich, dass kaum eine seiner Behauptungen der Realität entsprach, und doch mag ich den Peter nicht als Lügner in Erinnerung behalten. Zwar war er der Wahrheit nicht allzu sehr verpflichtet, dafür umso mehr seiner Fantasie. Und während die eine zur Genüge in meiner Welt rumliegt, ist die andere ziemlich rar geworden. Der Peter. Er fehlt, der Peter.
Hat dies auf Der Schnee tanzt rebloggt und kommentierte:
Das erinnert mich doch an…
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Danke!
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tja, solche Peterlinge gibt es wohl wie Sand am Meer
und sie fallen über uns alle irgendwann mal heftig her
gottlob nicht mit dem Gewehr dafür aber mit Gewähr
wie dein Eintrag auch mir nun gegenüber beweist…
Dir eine schöne Woche!
LG vom Lu
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Wunderbar geschrieben, vielen Dank! Auch dir eine schöne Woche!
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dieser Peter, der von damals, als noch samstags und einmal/Woche gebadet wurde…
Ja, ich kenne es auch von den Samstagen und alle im gleichen Wasser 🙂 Ich fand es völlig ok, aber ich hatte auch keine Geschwister, mein Vater war kein Bauarbeiter.
Das Wasser war wohlig warm.
Du erzählst von seiner kreativen Weisheit, in der er Euch anderen vorausgegangen war und seine Träume erfüllten mit großem Staunen. Seine Logik war mit seiner Fantasie unterlegt, vielleicht hatte er die „Logik des Dichters“ *lächel*.
Wer weiß, was er heute tun würde, hätte es ihn gegeben…
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Ich weiss nicht, was er heute tut, doch ich will es wohl gar nicht wissen. Er ist wahrscheinlich nicht mehr „der Peter“, sondern einfach ein Mann mit diesem Namen… Vielen Dank für deine Worte, für deine Erinnerungen und Gedanken…
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Es ist erstaunlich. Die Mehrzahl der einmal in der Woche Badenden wählt in der Mehrheit eigentlich den Freitag. Beim Peter war es der Sonnabend. Ich wittere Rebellentum.
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Das Rebellentum war zweifellos vorhanden. Einmal hatten wir im Werkunterricht ein Boot aus Holz zu bauen. Alle anderen sägten entsprechend Holz, nur der Peter sägte in den Daumen.
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Bei Hannes Vader heißt der Peter „Charly“. Aber Dein Peter kommt am Ende besser weg.
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Das dürfte meinen Peter freuen…
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Oh wie schön. Du hast mich gerade in meine Kindheit zurück versetzt. Wir hatten auch so einen Peter. Der hieß aber Martin. Was wohl aus ihm geworden ist? 😀
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Vielen Dank für deine Worte… Sehr schön, dass der Text Erinnerungen wachgerufen hat… Aus Martin ist wohl das gleiche geworden wie aus Peter – ein Erwachsener… Fragt sich nur, wie viel von der kindlichen Fantasie er sich bewahren konnte…
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Sehr schön 🙂
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Dankedanke!
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