Die Hypothese, dass Männer ihre Gefühle nicht zeigen können, hält sich so hartnäckig wie das Gerücht, dass Frauen das Einparken nicht beherrschen. Die Realität sieht in der Regel anders aus. Da werden von Damenhänden gelenkte Fahrzeuge schadlos in Parkfelder manövriert, während vermeintlich harte Kerle ihren Emotionen freien Lauf lassen. Allerdings ist es gerade dieser freie Lauf, der das Klischee noch bestärkt. Denn Männer sind zwar durchaus in der Lage, ihre Gefühle zu zeigen. Sie tun es nur mitunter auf seltsame Art und Weise.
Wenn etwa ein Mann im Kreise seiner Freunde die Ansicht vertritt, das andere Geschlecht sei die Wurzel allen Übels und Männer wären ohne Frauen ohnehin viel besser bedient, so ist dies nicht zwingend eine felsenfeste Meinung. Wahrscheinlicher ist, dass er sich mit seiner Lebensgefährtin in einen heftigen Kleinkrieg verstrickt hatte, mit seelischen Verlusten auf beiden Seiten. Oder aber die Dame seines Herzens fügte eben diesem Herzen mit einer unbedachten Bemerkung eine Schramme zu. Natürlich hätte er weinen können. Natürlich hätte er seine Verletzung in aufrichtigen Worten und ohne falsche Scham darlegen können. Doch er bevorzugt die misogyne Unmutsbekundung, um seine Gefühle auszudrücken. So macht man das, so hat er’s gelernt. Dass dabei nur Scheiße rauskommt, liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass er sich scheiße fühlt.
Auch beim emsigen Streben nach möglichst langfristiger Zweisamkeit trägt mancher Mann sein Herz nicht auf der Zunge. Ist er auf der Suche nach einer potenziellen Weggefährtin auf eine Frau gestoßen, welche den freien Platz an seiner Seite mit Leben füllen könnte, wäre es denkbar, dies ehrlich zu kommunizieren. Vielleicht sollte von Visionen eines gemeinsamen Lebens mit Haus, Kinderschar und Golden Retriever zumindest vorläufig abgesehen werden. Doch ein Hauch von Gefühl und Offenheit könnte sein Ansinnen unter Umständen begünstigen. Stattdessen raubt er seinem Gesicht durch ein dümmliches Grinsen jeglichen Charme und lässt seinem Mund eher zweifelhafte Komplimente entweichen. Es entspricht zweifellos der Wahrheit, dass ihre Brüste ihm gefallen. Aber diese Wahrheit hat noch viele weitere Facetten. Er würde sie – die Frau, nicht nur ihre Brüste – gerne näher kennen lernen, fühlt sich wohl in ihrer Gesellschaft, erkennt in ihr einen Menschen, der in der Lage ist, sein Leben zu bereichern. All das spielt sich in ihm ab. Aus ihm heraus kommt derweil nur die räudige Preisung ihrer Brüste. Die begreifliche Antwort der Umworbenen steht ihr ins Gesicht geschrieben.
Wer also einem Mann begegnen sollte, der vor Wut schäumt, flucht und zetert, sollte vielleicht bedenken, dass er gerade seine Gefühle zeigt. Womöglich braucht er einfach eine Umarmung. Obwohl, die Sache mit den Umarmungen ist wieder eine andere Geschichte.

Dieser Text erschien als Kolumne im L-Magazin, Ausgabe 9.
„Obwohl, die Sache mit den Umarmungen ist wieder eine andere Geschichte.“
Die ich gerne einmal erzählt / zu lesen bekäme…
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