Sie sitzen sich gegenüber, und sie sind nackt. Zwischen ihren Brüsten liegt ein Schatten, ein dunkles Tal, das über ihren Bauch zu ihrem Schoss führt. Seine Hände gleiten über ihren Körper, vorsichtig und leicht zitternd, als wäre die Haut aus dünnem Papier. Sie sind nackt. Jedoch wären sie es auch, wenn sie bekleidet wären.
Sie sitzen sich gegenüber, ihre Beine liegen über seinen, die Oberschenkel berühren sich. Nur ein bisschen näher, und sie wären vereint. Nur ein bisschen näher, und sie würde ihn in sich spüren. Doch näher geht nicht, näher als im Moment können sie sich nicht mehr sein. Er ist längst in ihr. Und sie ist längst in ihm.
Sie sitzen sich gegenüber, und sie weint. Stumm. Er auch. Der Widerhall der Worte hängt zwischen den Wänden. Irgendwo heulen Sirenen, irgendwo schreit man sich an, irgendwo stürzen Mauern ein, aber sie sind nicht irgendwo. Irgendwo ist weit weg, irgendwo existiert nicht, da sind nur sie, hier und jetzt.
Sie sitzen sich gegenüber, im spärlichen Licht einer kleinen Lampe, im einzigen warmen Raum der Welt. Jede Distanz ist aufgelöst, jede Scham ist entkräftet, jeder Schleier ist gelüftet und der Teppich steht aufgerollt in der Ecke. Sie haben alles gesagt, und was bleibt, ist ein Augenblick der Sprachlosigkeit.
Sie sitzen sich gegenüber, und alle Strukturen lösen sich auf. Die Narben unter ihrer Haut sind offenbart, jeder Schnitt, jeder Fleck, es gibt kein Verstecken mehr. Sie waren auf der Flucht, jeder für sich, vor den eigenen Geistern. Die Flucht ist vorbei, sie sind angekommen, bei sich, im anderen. Und nun sitzen sie sich gegenüber.

ja, ich kenne es *lächel*
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hm…soso *lächel*
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der einzige warme Raum auf der Welt – wie gut verstehe ich Deinen Text, lieber Disputnik. Im Anderen lesen zu können, wie in einem offenen Buch, bedeutet, sich ihm nackt zu zeigen, nichts zu verstecken, sich ganz und gar zu zeigen, sich bei ihm aufgehoben zu fühlen, vollkommen geborgen, angekommen zu sein, tief in ihm, in seiner Seele, in seinem Ich und es in sich selbst zu fühlen…
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Vielen lieben Dank für deine Worte, für dein Hineinlesen und Hineinfühlen… Ja, ein schönes Gefühl. Umso schöner, dass du es kennst…
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