Wenn sie ein Auge schließt, entfliehen die Distanzen. Keine Nähe mehr, nichts bleibt greifbar, und alles, was sie sieht, treibt ungenau im Raum. Die Landschaft wird zum flachen Gewühl aus Farben, eine Dimension ist keine Dimension mehr, jede Tiefe ist nur noch Theorie. Sie benennt die Entfernungen. Und sie weitet alles aus, bis sie sicher ist, dass der Abstand reicht.
Ihre Hände wandern langsam über ihren Körper. Zögerlich streifen sie ihre Beine, die Knie, den Stoff ihrer Strümpfe und die Stelle am Schienbein, die schon seit Jahren taub ist. Sie berührt ihren Bauch, spürt ihre Brustwarzen unter der Wolle des Pullovers. Als sie ihr Gesicht streichelt, zittern ihre Finger. Die Haut ist Porzellan, kalt und fest, eine unnachgiebige Masse.
Irgendwo hinter ihr liegt eine Version von ihr. Nicht die einzige Version, aber die einzige, die ihr nahe ist, während sich alles von ihr entfernt. Es ist keine Sehnsucht, sie möchte nicht mehr sein, was sie einst war. Doch noch weniger möchte sie sein, was sie geworden ist. Die Sonne blendet, und sie kann nichts erkennen, wenn sie nach vorne blickt. Die Sonne, sie wärmt nicht mehr.
Wenn sie beide Augen schließt, kommen die Dissonanzen. Keine klaren Töne mehr, keine Klanggebilde, und alles, was sie hört, treibt ungenau im Raum. Jedes Geräusch wird zum Rauschen, willkürliche Frequenzen, die sich überlagern und zu Brei werden. Ihre Hände wandern langsam zum Brustkorb, zu jener Stelle, die schon seit Jahren taub ist. Sie ist sicher, dass der Abstand reicht.

Wollen wir „ihr“ nicht mal einen Namen geben? Ich werfe eine „Katharina“ in den Raum. So…
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Nun, erstens möchte ich meiner Wut Gehör verschaffen (darum bitte sehr laut lesen), denn ich bin zutiefst empört, ja sogar entrüstet und durchaus auch ein wenig verärgert, dass du einfach eine Dame in einen Raum zu werfen wagst. Ich bin überzeugt, dass der Welt eine Menge Unbill erspart bliebe, wenn wir damit aufhören würden, ahnungslose Menschen in ebenso ahnungslose Räume zu werfen. So.
Zweitens ist dies, so glaube ich, das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Wort Unbill verwende. Ist ein seltsames Wort.
Drittens ist es schwierig, sich auf einen einzigen Namen festzulegen, weil diese erschaffenen Geschöpfe (ha, göttlich) sind, keine Ahnung, so was wie literarische Kinder, und jedes ist ein Individuum, und da möchte ich nicht jedem dieser Töchter und aber auch Söhne den gleichen Namen geben.
Viertens: Okay, Katharina. (Aber dann erst in einem der nächsten Texte, vielleicht in jenem mit exorzistischen Untertönen.)
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Viertens gefällt mir am besten…;-)
Na gut.
Aber ich hatte beim Lesen eine (keine bestimmte) Katharina vor Augen. Das macht es für mich greifbarer. Es hätte auch eine Claudia oder Melanie sein können.
Deine Texte sind offene Projektionsflächen mit unbekannten Personen, denen wir wahrscheinlich insgeheim dennoch Namen geben. Ich mach das jedes Mal. Aber gerade deswegen empfand ich es auch unheimlich reizvoll, bei dir anzuklopfen.
Du kannst den Text hier leise lesen. Aber nach jedem Satz wäre ein Nippen an einer Tasse Earl Grey No. 69 durchaus angebracht.
(Ja, ich habe auch dem Tee einen Namen gegeben. Ich bin unverbesserlich…;-))))
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Schön, dass du die offenen Flächen mit Namen füllst. Das freut sie sehr, die Flächen, die Texte, mich.
Tee. Ich gebe ihm Namen oder Nummern, ich nähe ihm hübsche Kleider oder mähe seinen Rasen. Ich tu alles, wenn ich ihn nur nicht trinken muss.
Elisabeth trinkt auch keinen Tee.
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