Es war bereits dunkel, der Tag hatte sein Licht gelöscht, nur die Scheinwerfer des Mercedes leuchteten unbeirrt in die Nacht. Der Mercedes gehörte dem Patenonkel meiner Schwester, er und seine Frau hatten uns einige Stunden lang die ungeahnten Freuden eines Vergnügungsparkes ermöglicht, der ziemlich weit entfernt von dem Ort lag, in welchem wir lebten. Es war aufregend dort, zumindest für uns Kinder, eine Welt voller Bewegung und nach außen drängender Mageninhalte. Entsprechend müde waren wir, und meine Schwester, die neben mir auf dem Rücksitz saß, ließ ihren Kopf hängen, was ein untrügliches Zeichen dafür war, dass sie schlief. Ich konnte schon damals in fahrenden Objekten den Weg ins Schlafland kaum finden und hockte hellwach im dunklen Fond. Irgendwann bremste der Patenonkel meiner Schwester sein deutsches Qualitätsfahrzeug ab, und ein blaues Blinken ließ mich meinen Hals recken und die Augen aufreißen. In Schrittgeschwindigkeit glitten wir zu einer Unfallstelle, und zuerst sah ich den Traktor. Nichts an ihm schien merkwürdig, er stand am Straßenrand und wirkte ziemlich freundlich. Dann erst bemerkte ich das Fahrzeug hinter dem Traktor, oder das, was davon übriggeblieben war. Es musste dem landwirtschaftlichen Gefährt ins Heck geprallt sein, ein Heck, das mit einem großen schaufelförmigen Gebilde versehen war, welches sich wiederum gewaltsamen und zerstörerischen Zutritt zur Fahrgastzelle des aufprallenden Autos verschafft hatte. Wir waren schon fast an der unschönen Szenerie vorbeigefahren, als ich den Fahrer des Unfallwagens entdeckte. Er saß noch immer hinter dem ehemaligen Steuer und bewegte sich nicht. Was mich erschaudern ließ, war jedoch nicht seine Seelenruhe inmitten verformter Blechteile und Glassplitter, sondern die Art und Weise, wie sein Körper am Hals zu Ende war. Ich rief zum Patenonkel meiner Schwester und dessen Frau nach vorne, dass da ein Mann ohne Kopf im Auto sitze, doch sie meinten, das sei wohl nur ein Schatten, den ich gesehen hätte. Ich insistierte heftig und beharrte auf meiner Wahrheit, doch sie konnten sie nicht erkennen. Vielleicht wollten sie auch nicht. Manchmal ist die Abweichung von der Wahrheit womöglich besser zu ertragen als die Wahrheit selbst. Meine Augen und meine Gedanken jedoch wollten von derartigen Ausflüchten nichts wissen. Und gemessen an der Tatsache, dass er fehlte, spukte der Kopf des Mannes im Auto noch lange in meinem glücklicherweise noch vorhandenen Kopf herum. Er tut es noch heute.

dieses Bild hat sich eingebrannt. Dieses Bild läßt Dich bis heute nicht los WSie empfindest Du es denn, wenn Du daran denkst? WIE konntest Du es verarbeiten? Hast Du es überhaupt verarbeitet???
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Als Kind verfolgte mich das Bild bis in die Träume, für lange Zeit. Irgendwann liess es mich los, oder ich das Bild. Wenn ich heute daran denke, ist es zwar da, das Bild, aber diffuser, unwirklicher. Drum ja, verarbeitet hab ich’s schon, und auf das Wie ist wohl die Zeit die einzige Antwort…
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Es ist so gruselig, dass ich das Bild jetzt auch im Kopf habe. Vielen Dank, genau was ich heute brauchte…
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Oha, tut mir leid. Aber wenigstens hast du noch einen Kopf, in welchem sich Bilder einfinden können…
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verständlicherweise tut er das, dieser fehlende kopf …
denn wenn du IM NATÜRLICHEN LEBEN an einem menschlichen körper einen fehlenden teil vorfindest, dann MUSST du wie magisch hinsehen, das geht mir noch heute mit bein- oder armamputierten so, und beim kopf ist das eben besonders krass …
weil das TOD bedeutet! und in jenem alter war/ist das natürlich besonders erschreckend (gewesen) …
sehr eindrückliche Schilderung …
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Danke, lieber Finbar…
Jaha, erschreckend war es wohl, und von all den Bildern, die sich aus meiner Kindheit in die Gegenwart gerettet haben, ist dieses wohl eines derjenigen, die sich am tiefsten eingebrannt haben…
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