«Sag, liebst du mich?» fragt sie, und die Stimme zittert, doch das tut sie schon seit Jahrzehnten. Er schaut sie an, aus diesen dunklen und warmen Augen, die immer ein wenig wässrig sind, und lächelt. Dann ergreift er ihre Hand und küsst die fleckige Haut, ganz sanft, als wäre sie aus dünnem Papier.
«Sieh doch, ich bin hier bei dir», sagt er nach einem Räuspern, und ihm scheint dies als Antwort zu genügen.
«Ja, aber liebst du mich?» wiederholt sie und neigt ihren Kopf ganz leicht. Er streichelt ihre Finger, jeden einzelnen. Dann hustet er und lehnt sich ein wenig zurück.
«Warum fragst du das immer?» will er wissen, doch sie zuckt nur mit ihren hängenden Schultern. Sie sieht sich um, erkundet jeden Winkel des Raumes, auf den sich ihr gemeinsames Leben komprimiert hat. Sein Blick scheint derweil an einem einzigen fixen Punkt zu haften.
«Sie ist gestorben», flüstert sie.
«Wer?» fragt er.
«Ich weiß nicht, wie sie heißt. Oder hieß», gibt sie zurück. «Die alte Frau, die immer geschrien hat in den vergangenen Nächten.»
«Ach so.»
«Ja. Sie war seltsam.»
«Seltsam?»
«Ja, seltsam. Unfreundlich. Hat nie gegrüßt.»
«Wir sind alle seltsam.»
«Ich bin nicht seltsam.»
«Doch doch.»
«Warum bin ich seltsam?» In ihrer Stimme regt sich verhaltene Entrüstung, und sie richtet ihren buckligen Rücken gerade.
«Einfach so. Weil wir alle seltsam sind.»
«Ich bin nicht seltsam.»
«Dann eben nicht.»
«Liebst du mich?» Ihre wiederholte Frage lässt ihn leise seufzen. Er hebt seine Hand, lässt sie jedoch gleich darauf wieder fallen.
«Natürlich.»
«Obwohl ich seltsam bin?»
«Ich dachte, du seist nicht seltsam.»
«Du hast gesagt, ich sei seltsam.»
«Ja.»
«Also?»
«Ich habe doch schon Ja gesagt.»
«Dass du mich liebst?»
«Ja.»
«Obwohl du findest, dass ich seltsam bin?»
«Ja.»
«Warum liebst du mich denn?» fragt sie, und die Stimme zittert, doch das tut sie schon seit Jahrzehnten. Er schaut sie an, aus diesen dunklen und warmen Augen, die immer ein wenig wässrig sind, und lächelt. Dann ergreift er ihre Hand und küsst die fleckige Haut, ganz sanft, als wäre sie aus dünnem Papier.
«Ich bin eben seltsam.»

Hello I am Eddie Amaya that took this picture , I had to translate the poem but it is LOVELY!!!!!!!!!! this lady is still alive she is 106 years old. and she is always telling everyone she loves them! but she has Alzheimers and doesnt remember anything longer then maybe 2 or 3 minutes. Thanks for sharing the picture ! check out my picture under my artist name… edwinfairchild.com
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Thank you very very much for your comment! I’m really glad that you like the text, and I’m especially honoured that you took the time to translate it… Thanks again and take care…
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Lieber Disputnik,
ich habe Dich etwas länger nicht gelesen, weil ich anderweitig so beschäftigt war.
Aber ich sehe immer die Mailbenachrichtigungen und nehme mir vor mir irgendwann das Entgangene in Ruhe anzusehen.
Heute bin ich dann mal zurück gekehrt und habe mich über diese anrührende Geschichte gefreut.
Sie mahnt mich Liebe als nichts selbstverständliches zu begreifen und es mein Gegenüber spüren zu lassen.
Vielleicht gibt es dann ja bald auch wieder ein Gegenüber 😉
Liebe Grüße,
Jo
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Ich wünsch es dir sehr, das Gegenüber. Und vielen lieben Dank für deine wunderbaren Worte… Es freut und ehrt meine Texte und mich, von dir gelesen zu werden.
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Gefällt mir wirklich sehr gut! Es ist mir stets eine Freude, mich durch deinen Blog zu lesen! Grüßee!
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Dankedanke… Ist mir eine Freude, dich meine Worte lesend zu wissen…
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