Da sind Linien in der Haut der Bäume, tief eingekerbte Namen von Liebenden, und die Bäume schreien stumm, sie haben keine Stimme, und alles, was man hört, ist Rauschen.
Da sind Linien in der Haut der Körper, tief eingekerbte Dramen von Leidenden, und die Körper schreien stumm, sie haben keine Stimme, und alles, was man hört, ist Rauschen.
Zitternde Finger gleiten langsam über Erhebungen auf der Haut, die dort nicht sein sollten, stolpern über verkrustete Kanten, die zwar keine Geschichte erzählen, aber davon zeugen, dass da eine Geschichte ist. Eine Geschichte, die sich in Worte fassen, in Sätze kleiden lässt. Doch daraus werden höchstens triviale Schilderungen, Skizzen davon, wie tief die Schnitte reichen, wie brutal sie ins Leben drangen. Vom Grauen in seiner ganzen Macht jedoch, von der Wahrheit, vom Unaussprechlichen, davon erzählt nur das Schweigen. Darum schweigt sie. Weil sie weiß, dass Reden jede Wunde aufreißen lässt. Weil der Schmerz und die Scham verschworene Geschwister sein können. Weil sie für das, was geschehen ist, keine Stimme hat.
Wer unbeteiligt bleibt, sieht sie und fragt sich, wie man so leben kann. So asketisch und freudlos, so zwanghaft und allein.
Wer sich beteiligt, so gut es eben geht, fragt sich, wie man so leben kann. Wie man überleben kann. Weiterleben kann.
Sie winkelt die Ellbogen an und führt ihre Hände nach hinten auf den Rücken. Vielleicht will sie sich kratzen. Vielleicht formt sie Flügel. Vielleicht möchte sie heile Haut spüren. Vielleicht ist es einfach nur eine nervöse Angewohnheit. Vielleicht möchte sie sich selbst hinter sich bringen. Wie sie so dasteht, nackt und schweigend, sieht sie aus wie ein Baum, ein Baum ohne Blätter. Und als sie leise zu sprechen beginnt, zittern die Äste, der Stamm schwankt bedrohlich. Man möchte sie stützen, sie halten, damit sie nicht fällt. Doch sie wird nicht fallen, nicht mehr. Sie steht einfach da, steif und starr. Man möchte ihr Nähe geben, doch sie will und kann keine Nähe haben. Irgendwann hört sie auf zu reden. Der Baum, der Körper, er schreit weiter, schreit stumm, und alles, was man hört, ist Rauschen.
Disputnik 