Ankommen.
Sie knöpft mit leicht zitternden Fingern sein Hemd auf und spürt gleichzeitig die Wärme seiner Hände auf ihrer nackten Haut. Er öffnet den Verschluss ihres Büstenhalters und streift ihn ab, berührt mit seinen Lippen sanft ihre Brustwarzen, was sie kaum merklich zusammenzucken lässt. Nach einem kurzen Räuspern zieht sie ihn zu ihrem Bett, legt sich auf das Laken und schließt ihre Augen. Leicht wie Federn gleiten seine Fingerkuppen über ihren Körper, vom Hals über den Hohlraum zwischen ihren Brüsten bis zu ihrem Bauch. Als er den zarten Flaum in ihrem Schoss küsst und seinen Kopf zwischen ihre Beine bewegt, hebt sich ihr Becken, der Atem wird schneller.
Später liegen sie nebeneinander, während der Staub im fahlen Licht einiger Kerzen tanzt, und sie deutet auf ein Bild an der Wand. Es zeigt eine traumhafte Landschaft, einen kleinen See, die Oberfläche still und klar wie ein Spiegel, umringt von einem Wald, von der Abendsonne in warmes Orange getaucht. Dies sei der Ort, an dem sie ankommen wolle, der Ort, an dem sie sich selbst am nächsten sein könne, flüstert sie. Zumindest sei er dies bisher gewesen. Doch eigentlich sei sie bereits angekommen, hier und jetzt. Er schweigt, doch sie weiß, dass seine Mundwinkel sich recken, sie spürt sein Lächeln in ihrem Innersten.
*****
Brachland.
Der Tisch ist gedeckt, die Kerze flackert und verbrennt einige Staubpartikel in der Luft. Als er endlich nach Hause kommt, setzt er sich wortlos auf den Stuhl und starrt auf seinen Teller. Sie blickt ihn an, eine Minute, vielleicht auch zwei. Dann steht sie auf, verschwindet in der Küche und kommt bald darauf zurück, hält mit leicht zitternden Fingern eine Schüssel in der Hand. Es sei wohl schon kalt, flüstert sie und fragt, ob sie es noch einmal aufwärmen soll. Er schüttelt den Kopf. Während er den Auflauf mit mechanischer Gleichgültigkeit in seinen Mund schaufelt, betrachtet sie sein Gesicht. Die Haut wirft Falten, immer mehr, tiefe Furchen ziehen sich durch ein Brachland, das bei den Augen in tiefen Höhlen verschwindet.
Sie heftet ihren Blick an ein Bild an der Wand. Es ist einige Jahre alt und zeigt sie beide lachend vor einem Denkmal. Aufgenommen wurde es während ihrer Hochzeitsreise, und sie kann sich noch an den alten Mann erinnern, dem sie die Kamera überließen, um sie zu fotografieren. In gebrochenem Englisch und mit heiserer Stimme sagte er immer wieder, wie wundervoll sie aussehen würden, und damals wusste sie genau, dass es die Wahrheit war. Heute weiß sie nicht mehr, was sie glauben soll, doch sie würde ihn gerne sehen, den alten Mann. Auch wenn er lügen müsste, hier und jetzt.
*****
Staub.
Der Stuhl knarrt bei jeder Bewegung, doch sie stört sich nicht daran. Sie bewegt sich nur noch selten, und das Knarren, es ist immer da, in ihr drin. Ihre Hände umklammern mit leicht zitternden Fingern eine Decke, wie immer, denn schon seit Jahren friert sie ständig, selbst im Bett ist ihr kalt. Sie lehnt sich langsam zurück, das Knarren wird lauter, bleibt aber dumpf und seltsam körperlos. Dann steht sie auf und geht in die Küche, in der sich der Staub an die Töpfe heftet.
Ihr Sehvermögen hat gelitten unter dem Gewicht der Jahre, und wenn sie das Bild an der Wand betrachtet, verschwimmen die Konturen. Doch sie weiß, wie es aussieht, kennt jedes Detail, jeden Winkel, jede Vertiefung im Gesicht. Ein Gesicht, welchem sie über Jahrzehnte hinweg zugesehen hatte, wie es sich veränderte. Nun wird es bleiben, wie es ist, für immer. Es bleiben die Augen, in denen sie in den ersten Tagen eine neue Welt zu entdecken glaubte, dann aber immer weniger erkennen konnte. Die Augen, seine Augen, sie trockneten aus, erfroren in der Kälte, wie so vieles. Wenn sie ihn nun sieht, hier und jetzt, auf diesem Bild, fragt sie sich, ob sie hätte gehen sollen. Sie hatte es oft gewollt, aber nie getan, und nun ist er ihr zuvorgekommen. Die Leere, die er hinterlässt, sie ist nicht neu, auch nicht die Stille. Die Einsamkeit, sie kam lange Zeit vor dem Alleinsein. Und jetzt, wo auch das Alleinsein da ist, beißt sie sich auf die Unterlippe, bis es schmerzt. Immerhin tut es wieder weh.
Original Photos by Megan djbabydyke (Ankommen), Matt Doak (Brachland), Charles Hildreth (Staub)
ein roter Faden zieht sich durch Deine drei Geschichten, die Du wie immer meisterlich durchdacht und aufgeschrieben hast.
Der rote Faden, der bei der Leidenschaft beginnt, sich über die Langeweile in der Zweisamkeit dehnt und dort ankommt, wo die Einsamkeit wohnt.
„Die Leere, die er hinterlässt, sie ist nicht neu – „diese Stelle, lieber Disputnik, hat sich mir eingebrannt, so, als ob ich sie lange gekannt hätte.
Wie gut, daß nicht jede Leere eine Leere bleibt, daß sich so vieles ändern kann und es dieser graugesichtigen Einsamkeit gar nicht erst gelingt anzukommen…
Wer Schmerz spürt, wird auch die Freude erkennen, wenn sie leise anklopft
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Liebe Bruni, herzlichen Dank für deinen wunderbaren Kommentar… Sehr schön, dass sich die Leere füllen liess und die Flucht vor der Einsamkeit offenbar gelang. Man muss wohl die Ohren spitzen, um zu hören, wenn die Freude anklopft, muss gewillt sein, sie einzulassen. Das liest sich leicht, wahrscheinlich leichter, als es tatsächlich ist…
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Bezogen auf den „angekommen“-Text: Literarisch hervorragend verfasst! Wie in Stein gemeißelt klingen deine Sätze, so unerschütterlich, dass sie nur von einem wahren Künstler stammen können! Ich bin zutiefst angetan.
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Welch wunderbarer Kommentar, liebsten Dank dir, fürs Lesen und Angetansein!
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dieses mal verwöhnst du uns mit drei prosabildern in einem post *lächel*
heisst das wir bekommen nun drei tage lang keinen eintrag mehr zu gesicht?! *lächel*
das erste bild ging mir besonders unter die haut — toll ausformuliert!
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Vielen Dank, lieber Finbar, für deinen Kommentar und dafür, dass du’s unter deine Haut lässt… Zwar dürfte es in den nächsten drei Tagen tatsächlich keinen Eintrag geben, was aber nicht der Auslöser der 3-in-1-Geschichte war…
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Reblogged this on Blog-Inkarnation.
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Ich genieße die Texte immer wieder und immer noch, ihr Inhalt findet jeweils den passenden Weg in mein Innerstes, sucht sich manchmal einen Platz zum Verweilen oder gibt sich damit zufrieden, etwas in Schwingung zu versetzen, um gleich wieder zu verschwinden. Danke für die Momente der Besinnung und der Berührung.
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Es ist sehr schön zu wissen, dass die Texte in deinem Innern einen Platz finden. Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und Berührtsein!
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