Da ist dieses Mädchen namens Hiroshima, obwohl, ein Mädchen ist sie nicht, sie ist eine junge Frau, eine durchaus attraktive, faszinierende Frau, doch einerseits ist sie trotzdem ein Mädchen, wird es immer bleiben, während sie andererseits viel zu früh aufhören musste, eines zu sein, und nun ist sie weder das eine noch das andere, eine Unentschiedenheit, die ihr jeglichen Halt entbehrt, sie taumelt zwischen den Polen, von denen keiner eine Heimat ist, und während sie verzweifelt nach Orientierung strebt, prallt sie immer wieder gegen die Mauern, von den eigenen und von fremden Händen in ihre Welt gebaut, kalte Grenzen, die sie nicht zu überwinden vermag, und manchmal hämmert sie mit nackten Fäusten gegen den grauen Stein, stumme Schreie auf den spröde gewordenen Lippen, alles in ihr schmerzt, aber nichts tut mehr wirklich weh, das taube Gefühl lähmt sie im Innern, ein lebloser Geist und die Trümmer der Seele in einem geschundenen Körper, der nicht mehr ist als ein Gefäß, dessen Inhalt längst verschüttet wurde, und der Blick auf den Boden, er leert die Augen, macht sie sprachlos, und wenn sie dennoch redet, sagt sie nicht, was sie denkt, weil sie denkt, dass sie etwas Falsches sagen würde, wenn sie es täte, und darum schweigt sie, oder sie spricht über die Banalitäten dieser Zeit, über die Gegenwart und die Gegenstände, die in ihr wohnen und ihr ebenso fremd erscheinen wie die Menschen, die ihr erzählen, dass man stets das Positive sehen solle, worauf sie denkt, dass sie kaum etwas erkennen kann, weil ihr Blick sich stetig trübt, immer wieder und schon seit jenen Tagen, als er in ihrer Welt explodierte, der kleine Junge, der dicke Mann, und während Teile von ihr sofort verstarben, gehen andere schleichend zu Grunde, als würden kleine Parasiten in ihr nagen, und der Druck, der damals auf ihren Körper wirkte, er hat zwar nachgelassen, doch nur, weil sich eine Schicht aus Staub und Blut über den Lauf der Dinge gelegt hat, und dann steht Hiroshima an der Straße und wartet darauf, dass sie jemand mitnimmt und mit ihr in die Zukunft fährt, doch die Straße, sie verläuft ins Leere, eine Sackgasse ohne Möglichkeit zur Umkehr, und niemand hält an, niemand bleibt stehen, alles rauscht und dröhnt, und was bleibt, sind die Krater in ihrer Erde und der Geschmack von Blei im Mund, die salzige Kruste unter den Augen und die Ruinen der Zeit.

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Ich wünsche, ich hätte solche Worte, um Leidvolles so eindrücklich auszudrücken. Gern lasse ich Sie für mich sprechen und genieße es, den Text mehrmals zu lesen. Spüre dem Klang und der Wirkung der Worte nach und begreife mit jedem Mal mehr.
Danke
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Vielen Dank für deinen wundervollen Kommentar und fürs Rebloggen… Dass du die Worte auf dich wirken lässt, sogar mehrmals, ehrt sie (die Worte) und mich. Danke!
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ein grausiger Name
für grausiges Geschehen
keiner kann es verstehen
am wenigsten die, die
überleben mußten
und doch nur noch leiden
leergebrannt und stehen-
gelassen
kein Trost kommt an
nur dein Text erinnert daran
Ein eindruckvoller Text, der an Grauen erinnert, und daran, daß es wohl nie zu Ende geht, solange es uns Menschen gibt
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Danke für deine Worte, liebe Bruni… Nein, es wird wohl nie zu Ende gehen, solange es Menschen gibt. Viel eher wird der Mensch deshalb zu Ende gehen.
Ja, der Name erinnert an das Grauen, wird es wohl immer, und doch bleibt es abstrakt. Ähnlich abstrakt wie das Grauen, das direkt um die Ecke geschieht, jeden Tag. Und man möchte sich abwenden, wegschauen. Und tut es auch allzu oft…
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und wenn wir es nicht schaffen, um die Ecke zu sehen und einzugreifen, dann werden wir das abstrakte Grauen niemals abschaffen können
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ein mädchen
hiroshima
zu nennen
ohne sich,
sie und all
die anderen
dabei zu
verbrennen?
ein sehr
schwieriges
unterfangen,
denn in diesem
stadtnamen
sind wir alle
mitgefangen,
mitgehangen.
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Ein Name
für die Dinge
und Undinge,
die wir
einander antun,
im Grossen
wie im Kleinen;
verbrannte Erde,
hier und dort.
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manchmal ist es
sehr schwer nur
zu ertragen
dass wir menschen
dieses gewaltige
erinnerungsvermögen
besitzen
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Ja, durchaus,
doch manchmal,
vor allem
aus objektiver Sicht,
wäre das Vergessen
auch keine
erstrebenswerte Option.
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