«Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Die Rundung deiner Hüfte ist wie ein Halsgeschmeide, das des Meisters Hand gemacht hat. Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Lilien. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen. Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein. Wie schön und lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum, deine Brüste gleichen den Weintrauben. Ich will auf den Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und der Duft deines Atems wie Äpfel; laß deinen Mund sein wie guten Wein, der meinem Gaumen glatt eingeht und Lippen und Zähne mir netzt.»
Was sich liest wie eine Mischung aus antiker Pornographie und Tagebucheinträgen eines brünstigen Germanistikstudenten, entstammt dem Hohelied Salomos und somit dem Alten Testament. Dies wiederum erscheint einigermaßen überraschend, denn in der Buchhandlung dürfte die Bibel wohl von keiner Abteilung weiter weg platziert werden als von erotischer Literatur.
Das Verhältnis zwischen Kirche und Sexualität ist, nun, ein wenig angespannt. Wer sich als christliche Religionsgemeinschaft zu profilieren versucht, verteufelt die Sexualität zu sehr weiten Teilen und brandmarkt jegliches Ausleben von entsprechenden Trieben und Gelüsten als Sünde. Sex ist schmutzig, ein unbekleideter menschlicher Körper ebenso, und was schmutzig ist, gehört sauber gemacht, doch beim Versuch, dies zu tun, erhebt die Kirche erneut Einwände. «Nackt duschen widerspricht katholischer Moral», verlautbart das Generalkirchenvikariat Köln. Und natürlich könnte man darauf zynisch erwidern, dass es offenbar nicht in jedem Fall der katholischen Moral widerspreche, nackt zu duschen, zumindest nicht dann, wenn junge Knaben zugegen sind. Und natürlich ließe sich der Fokus von der katholischen Moral sehr schnell auf die katholische Doppelmoral legen, auf die Doppelmoral anderer Religionen, auf die unzähligen Fälle von sexuellem oder andersartigem Missbrauch in religiösen Institutionen. Und natürlich könnte man das Zölibat von katholischen Geistlichen erwähnen, als Beleg der verkrampften Einstellung der Religion zur Sexualität. Und natürlich könnte man dann einwenden, dass diese thematischen Verbindungen mit sehr dünnem, atheistischem Faden gestrickt und weit hergeholt sind. Ja, man könnte, natürlich. Aber man könnte auch konstatieren, dass die Sexualität weitaus natürlicher ist als Religion. Dass die Zusammenhänge vielleicht manchmal gesucht sind, sich aber finden lassen. Und dann könnte man die gewagte Hypothese in den Raum stellen, dass sich die Doppelmoral deutlich abschwächen würde, wenn die christlichen Moralvorstellungen im Hinblick auf die Sexualität zumindest einige Palmbäume und Weintrauben zuließen. Und dass die Kirche womöglich mehr Zulauf hätte, wenn die jungen Zwillinge von Gazellen eine größere Rolle in der christlich-religiösen Geschichtsschreibung spielen dürften. Doch die erotische Annäherung, von welcher das Hohelied Salomos zweifellos zeugt, wurde längst umgedeutet und soll nun offenbar wahlweise die Liebe zwischen Gott und seinem Volk oder die Liebe zwischen Christus und der Kirche beschreiben.
Und die Gazellen, sie stehen ratlos unter den Zweigen des Palmbaumes.

Entschuldigung – Anonym war ich eben. Habe nur schnell mal vergessen, meine Daten einzugeben…
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es kann sich Dir auch nicht erschließen, weil Dir der Glaube dazu einfach fehlt *lach*
Mir geht es ähnlich und vielen anderen auch, doch die behalten es fein säuberlich für sich, möchten nicht anecken.
Freies Denken gelangt hier schnell an den Rand seines Durchdringens, ihm steht der GLAUBE gegenüber und nur mit dem ist es moglich, sich allen diesen irrsinnigen Richtlinien zu unterwerfen.
Denke nur mal an die Beichte. Welcher Wahnwitz und was verbirgt sich da noch so alles dahinter
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Vielen Liebdank für deinen Kommentar, Bruni…
Jaha, Wahnwitz ist wohl der passende Begriff, wenn von kirchlicher Beichte die Rede ist. Obwohl, der Witz ist nicht wirklich witzig… Dabei wären Beichtstühle eigentlich ein bestechendes Konzept. Wenn das Ganze denn nur so einfach wäre…
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schon die ersten Worte ließen mich aufhorchen *lächel*
wie gut kenne ich doch diese Worte, wie oft hörte ich sie schon, las sie auch, diese Besonderheit aus der Bibel, Das Hohe Lied der Liebe
Wunderschön ist auch
Sei mein König,
komm doch und küss mich.
Deine Liebe berauscht mich mehr noch als Wein
Weithin verströmen deine kostenbaren Salben
herrlichen Duft.
Jedermann kennt dich
alle Mädchen im Lande schwärmen für dich
Komm, laß uns eilen,
nimm mich mit dir nachhause,
fass meine Hand…
Es ist die Version Speidel/Maccallini und wie gut ist sie gelungen
Klar ist die Sexualität älter als die Religion und das Verteufeln des Sexuellen bedeutet krasseste Einschneidung und Einschränkung der persönlichen Freiheit des Christen. Eine Anmaßung ist sie, diese Verfeufelung der natürlichen Bedürfnisse, ein Verbiegen des Menschen und er tut deshalb in Heimlichkeit das, was ihm die natürliche Gottheit mitgegeben hat. Unter dem Deckmäntelchen der Religion Macht ausüben über die Menschen, nichts anderes geschieht hier
LG von Bruni
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Danke für deinen ausführlichen Kommentar!
Ja, sie mutet schon sehr seltsam an, die Verteufelung der Sexualität, die im Namen der Religion geschieht. Keine Ahnung, ob ich das als Atheist noch weniger verstehe als Menschen, die einen tiefen Glauben haben und ihn praktizieren. Mir will sich jedoch nicht wirklich erschliessen, wie und weshalb man sich von religiösen Dogmen oder ähnlichem in das eigene Körperempfinden, die eigene Sexualität reinreden lassen kann.
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