Es ist nicht selten erschreckend, wie nackt wir sind. Wie schutzlos. Wir bemühen uns um Wärme, hüllen uns in Mäntel und Decken, doch darunter bleibt die Blöße, das blanke Ich. In der Kälte stehend, sind wir den Elementen wehrlos ausgesetzt, den Dingen der Zeit. Manchmal streichelt uns die Welt mit weichen Federn, lässt die kleinen Härchen auf der Haut sich aufrichten, sich nach allen Seiten recken. Und manchmal schlägt sie mit Gerten und Stöcken auf uns ein, in blinder Wut, wie ein ruchloser Krieger. Wir können in unseren Sesseln sitzen, in unseren Höhlen und Heimen, in vermeintlicher Sicherheit und im Einklang mit dem Atem, den wir Leben nennen, und unvermittelt fällt in unseren inneren Wäldern ein Baum in den Schnee, stumm und beinahe unsichtbar. Ohne Ankündigung und ohne Erklärung werden Wahrhaftigkeit und Vertrautheit in ihren Grundfesten erschüttert, jeder Anker, den wir setzten, wird dem Untergrund entrissen. Und selbst wenn wir uns der Liebe sicher waren, müssen wir erkennen, dass sie nicht alles ist. Dass sie in Körpern wohnen muss, und dass diesen Körpern, in ihrer Schutzlosigkeit und Nacktheit, etwas zustoßen kann, das sich unserer Kontrolle entzieht. Scharfe Klingen etwa, schweres Geschütz, der Lauf der Zeit sowieso. Oder auch nur ein kleiner Schädling unter der Rinde. Immer mehr Bäume fallen in den Schnee, einer nach dem anderen, noch immer lautlos. Bis unsere Wälder am Boden liegen und die Erde im Innern ebenso nackt ist wie unsere Haut in der Kälte.

Baum und Mensch
Beide schutzlos ohne ihre Hülle
Beim Baum ist es das Blätterkleid, beim Menschen die Kleidung.
Deine Metapher vom fallenden Baum ist gut gewählt. Wurde das Ich in seinen Grundfesten erschüttert, wird es dünnhäutig und tut sich mit Nacktheit schwer, es sucht nun immer das schützende Dickicht, versucht sich nach Möglichkeit zu verstecken.
Ein Überlebensimpuls
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Absolut, ein Überlebensimpuls. Auch wenn das Verstecken halt auch ein gewisses Alleinsein mir sich bringt, auch Räume, die man mit niemandem teilen kann. Was wohl manchmal was Gutes und manchmal was Ungutes sein dürfte…
Danke für deinen Kommentar!
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es ist schon eigenartig mit unserer nacktheit…
im sommer sehen wir sie oft an ohne sie WIRKLICH zu bemerken, zu spüren,
doch im winter ist das ganz anders, obwohl unsichtbarer…
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Ja, und zwischen nackt sehen und nackt fühlen ist halt auch noch mehr dazwischen, ganz unabhängig von der Jahreszeit. Und die Ungeschütztheit, die kann halt auch im Sommer zum Verhängnis werden, immer irgendwie.
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ich bin sehr gerne nackt, aber nur wenn ich völlig allein und mich hundert pro unbeobachtet fühle, NUR dann verhalte ich mich vollkommen naturgemäß…
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Das natürliche, naturgemässe Ich, es existiert also nur im Alleinsein? Oder gilt das nur in Bezug auf die körperliche Nacktheit?
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