Die Vorstellung ist längst zu Ende, der Vorhang gefallen, die Bühne ein Brachland. Sie sitzt in ihrem Sessel, allein im Theater, der Staub hängt in der Luft wie Fetzen von vergangenen Klängen und Bildern. Ihr Blick wandert über die leeren Ränge, stolpert benommen über die Lehnen, bleibt hin und wieder an Kanten hängen. Sie kennt den Raum und seine Formen, kennt die Schatten und Schattierungen, und dennoch ist da keine Vertrautheit, keine Intimität. Selbst ihre Hände wirken unbekannt, die Beine lagern wie Fremdkörper über der Sesselkante.
Der Nachhall der Stimmen schwebt über dem Parkett, einzelne Worte und Sätze oszillieren zwischen den Mauern, tragen die Erinnerungen in den Moment, der leer in der Zeit liegt wie weißes Papier. Sie kann sich nicht mehr erinnern, wann alles zu einem trügerischen Zerrbild wurde, wann die Konturen sich auflösten und einem abstrakten Gebilde Platz machten, in welchem die Strukturen ins Ungewisse laufen.
Das Stück, das vor ihren Augen aufgeführt wurde, es war reich, ausgefüllt mit all den elementaren Aspekten, die das Leben vom Existieren trennen, und in keinem Moment verspürte sie die Angst, es könnte dereinst enden. Keine Szene erzählte von der Vergänglichkeit, niemand sprach von der Flüchtigkeit der Dinge, und die Schauspieler, sie gingen in ihren Rollen auf, als würden sie in ihnen wohnen, als wären sie nicht Figuren, sondern wahrhaftige Menschen, untrennbar mit ihr verbunden.
Als die Szenen immer karger und die Stimmen immer leiser wurden, spürte sie eine gewisse Anspannung, doch sie zweifelte nicht daran, dass der nächste Akt umso üppiger inszeniert sein würde. Doch das Leben, es tröpfelte immer mehr über den Bühnenrand, manchmal zäh wie Honig, manchmal tränengleich, und verlor sich unter den Sesseln. Am Ende war die Dynamik des Stückes zu einem Standbild geronnen, jede Bewegung erstarrte in der Kälte, jede Regung erfror in der Stille.
Irgendwann begann das Flackern und Verschwimmen, die Silhouetten wurden diffuser und unschärfer. Dann starb die Bühne aus, der Vorhang fiel. Und nun sitzt sie in ihrem Sessel, allein im Theater. Sie weiß nicht, ob es Applaus oder gar stehende Ovationen gegeben hat. Wenn sie jetzt in die Hände klatscht, bleibt der Raum seltsam still. Nur der Staub wirbelt auf.

sehr schön eingefangen hast du mit deinen buchstabendörfern, wie immer absolut virtuos hingemalt, wie von zauberhand, diesen zustand zwischen realität und traum, leben und tod, die grenzwelt eben, die ich in aufführungen sehr guter stücke auch oft schon erlebte, spürte…
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Lieber Finbar, herzlichsten Dank für deine fein getupften Kommentarworte, sie freuen mich sehr.
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de nada, lieber disputnik, es ist wie es ist! *lächel* nämlich bewundernswert, deine art und weise des schreibens, aber auch die ästhetik deines gesamten weblogweltraums… und daran freue ich mich von tag zu tag immer mehr, habe ich doch noch soooo viel darinnen (weiter) zu entdecken!
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Na dann, ich freue mich stets über deine Besuche, du Entdecker im Weltraum…
(et vice versa)
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Einfach nur WOW! Wunderschön geschrieben….
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Vielen Liebdank fürs Lesen und Schönfinden und Kommentieren.
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Gänsehaut!
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Danke. Sehr.
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