Ein renommierter saudischer Prediger misshandelt und vergewaltigt seine fünfjährige Tochter mehrfach. Ihr Rücken wird dabei gebrochen, der Mastdarm herausgerissen. Das Mädchen stirbt nach mehrmonatigem Überlebenskampf im Spital. Der Vater gesteht die Tat und wird verurteilt. Das Gericht sieht von Haft ab, die Strafe beinhaltet nur eine Entschädigungszahlung an die eigene Familie. In Indien vergewaltigen sechs Männer eine Studentin in einem Bus. Die Frau stirbt knapp zwei Wochen später an inneren Verletzungen, die wohl von der Penetration mit einer rostigen Eisenstange rühren. In einem Fall von Massenvergewaltigungen in Paris sind vierzehn Männer angeklagt, zwei junge Frauen über Jahre hinweg sexuell misshandelt zu haben. Zehn der vierzehn Männer werden freigesprochen, vier erhalten größtenteils bedingte Freiheitsstrafen.
Drei Fälle. Drei von tausenden, die zu reden gaben, und drei von Millionen, über die nicht gesprochen wird. Nicht von den Tätern, höchstens von jenen, die glauben, ihre Handlungen geben zur Prahlerei Anlass. Und nicht von den Opfern. Zu groß die Scham, zu tief die Wunden, zu mächtig die Angst, zu einnehmend der Ekel. Das Geschehene wird zugedeckt, mit den Dingen der Zeit, mit mühsam herangekarrter Erde, mit dem Zement der Verzweifelten. Und wenn dann doch eine Frau es wagt, sich bei zuständigen Stellen zu äußern, beginnt ein weiterer seelischer Kraftakt, an dessen theoretischem Ende lähmende Ernüchterung steht. Denn die Täter, sie müssen, wenn überhaupt, für einige Monate ins Gefängnis und sich danach einige Jahre lang bewähren, wohl als rechtschaffene Bürger. Die Opfer erhalten derweil lebenslänglich. Immer.
Die Strafzwecktheorien sprechen von Sühne und Vergeltung, von Schuldausgleich, auch von Prävention. Wenn einer einen Wagen stiehlt, ja, dann könnte es gelingen, das Sühnen und Vergelten, das Ausgleichen, vielleicht sogar das Vorbeugen. Doch ein Vergewaltiger stiehlt keinen Wagen. Er stiehlt ein Leben. Selbst wenn selbiges fortgesetzt werden kann. Und mit einigen Jahren auf Bewährung soll dies abgegolten sein? Selbst beim Fall aus Indien, bei welchem die Todesstrafe für die Angeklagten gefordert wird, ist es – ganz abgesehen vom Aspekt der Legitimation einer solchen Bestrafungspraxis – höchst fraglich, ob sich dadurch Gerechtigkeit herstellen lässt. Und wo das Tragen von Samthandschuhen schon hierzulande widerlich anmutet, ist die Rechtsprechung in anderen Teilen der Welt vollends verstörend, etwa in jenen Ländern, in welchen der Vergewaltiger einer Bestrafung entgehen kann, wenn er sein Opfer heiratet.
Ich bin männlichen Geschlechts, so geworden im Leib meiner Mutter und mit den Jahren gereift zu jener Ausführung des Menschen, deren Vertreter in vielen Fällen Dinge tun, die nur schon in Form von Zeitungsmeldungen Brechreiz auslösen. Und wenn ich Kommentare zu diesen Zeitungsmeldungen lese, in denen nicht selten davon geschrieben wird, dass manche Frauen durch aufreizende Kleidung eine Vergewaltigung geradezu herausforderten oder dass eine Frau halt nicht allein durch nächtliche Straßen streifen solle, dann scheint es, als ob nicht nur in den Gesetzbüchern und Gerichtssälen vieles falsch läuft, sondern auch in zahlreichen Köpfen.
In nahezu allen Fällen sind die Vergewaltiger männlich. Auch ich bin ein Mann, und diese Tatsache, sie löst in dieser Hinsicht ein ungutes Gefühl aus. Ich halte nicht viel von Kollektivschuld. Wie nicht jeder Iraker schuld ist an Saddam Hussein, wie nicht jeder Asylbewerber schuld ist an Verbrechen von einzelnen, wie nicht jeder Amerikaner schuld ist an Guantanamo, wie nicht jeder Deutsche schuld ist am Dritten Reich, wie nicht jeder Katholik schuld ist an sexuellen Missbräuchen durch gewisse Geistliche, so ist auch nicht jeder Mann schuld an den unzähligen Vergewaltigungen. Trotzdem ist da eine diffuse Schwere. Und vor allem sind da Fragezeichen. Wut. Beklemmung. Machtlosigkeit.

In solchen Momenten frage ich mich doch ernsthaft, ob das richtig ist, was wir da tun?
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Ich bin mir bei den meisten Dingen nicht sicher, was das Richtige ist oder ob es dieses Richtige überhaupt gibt. Bei manchen Dingen weiss ich, dass sie nicht richtig sind. Und manche Dinge laufen so falsch, dass es kaum Worte dafür gibt…
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Reblogged this on Blog-Inkarnation und kommentierte:
Der letzte Absatz beinhaltet, was auch ich, ein Mann, empfinde. Hinzu kommen häufig Fassungslosigkeit, immer öfter auch Resignation, manchmal will ich es einfach nicht mehr lesen. Und doch weiß ich, dass ich etwas tun will und tun kann: Hinsehen, aufmerksam sein, mich abgrenzen und mit möglichst vielen Jungen und Männern arbeiten – vorbeugend, aufklärend, sensibilisierend. Als Gewaltberater habe ich dazu mehr als genug Chancen. Das Wissen um gleichgesinnte und mitfühlende Männer ist ein starker Rückhalt!
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Der letzte Absatz beinhaltet, was auch ich, ein Mann, empfinde. Hinzu kommen häufig Fassungslosigkeit, immer öfter auch Resignation, manchmal will ich es einfach nicht mehr lesen. Und doch weiß ich, dass ich etwas tun will und tun kann: Hinsehen, aufmerksam sein, mich abgrenzen und mit möglichst vielen Jungen und Männern arbeiten – vorbeugend, aufklärend, sensibilisierend. Als Gewaltberater habe ich dazu mehr als genug Chancen. Das Wissen um gleichgesinnte und mitfühlende Männer ist ein starker Rückhalt!
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Die Existenz von gleichgesinnten und mitfühlenden Männer wie dir ist ein starker Rückhalt – für die Gesellschaft. Es ist gut zu wissen, dass es Menschen und vor allem auch Männer gibt, die nicht nur hinsehen, sondern sich auch engagieren. Und wenngleich nicht jeder Mann als Gewaltberater arbeiten kann oder will – das Hinsehen, das Aufmerksamsein, das Abgrenzen, das Sensibilisieren, das alles ist auch so möglich. Vielen Dank an dich – fürs Lesen, fürs Kommentieren, fürs Rebloggen und vor allem für das, was du tust.
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Es ist so unfassbar was man da lesen muss.
Und es scheint so weit weg und ist doch so nah, wie ich gerade eben erfahren habe…..
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/koeln-katholische-krankenhaeuser-lehnen-vergewaltigungsopfer-ab/7648984.html
Wie werde ich mit diesem Wisen umgehen?
Ich weiß es noch nicht und spüre nur ohnmächtige Wut.
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Nein, weit muss man nicht gehen, um die nächsten Opfer (und Täter) zu finden, manchmal reicht das Nachbarhaus oder der Nebenraum.
Was man tun kann? Darüber reden, aufmerken, sich engagieren, präsent sein, zuhören, Stellung beziehen, und ja, wütend sein, denn Wut kann ja auch eine Kraft sein.
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