Sie reden und reden und reden. Sie werfen ihre Hände in alle Richtungen, sie verleihen der Stirn tiefste Furchen und reißen im nächsten Moment die Augenbrauen nach oben. Sie modulieren ihre Stimmlage, sie erbrechen Wortschwalle, sie atmen schwer. Alles ist ganz fürchterlich. Alles ist so dramatisch. Alles ist so wichtig. Er kann es nicht mehr hören.
Sie reden und reden und reden. Sie reden vom Verkehrskollaps in ansonsten beschaulichen Wohnquartieren. Sie reden von demografischem Wandel und von Renten mit unsicherer Zukunft. Sie reden von Steuergerechtigkeit und Wirtschaftskrise. Die Hände fliegen, manchmal wackelt jemand mit dem Zeigefinger, manchmal lacht einer bitter. Sie reden von Burkas, Burkinis und Bärten. Sie reden von Religion und Rebellion. Sie reden von Angst und Zorn und Stolz. Manche klingen plump, manche klingen überheblich, manche klingen verunsichert. Manche wirken eloquent, manche wirken wütend, manche wirken dümmlich. Aber alle reden. Und reden. Und reden. Und er kann es nicht mehr hören.
Es ist ihm egal, was sie sagen. Überhaupt ist ihm sehr vieles egal. Und es ist ihm egal, dass es ihm egal ist. Er sieht den toten Jungen am türkischen Strand. Er sieht das verwundete Kind im Krankenwagen in Aleppo. Er sieht die ruinösen Überreste ehemals stolzer Städte. Er verharrt dann einige Sekunden. Atmet tief durch. Dann geht es weiter. Er hört von abgestürzten Flugzeugen, von chaotischen Zuständen in einem Erdbebengebiet, von eingestürzten Textilfabriken. Wieder verharrt er einige Sekunden. Wieder atmet er tief durch. Dann geht es weiter. Muss ja.
Sie reden und reden und reden. Alles ist ganz fürchterlich. Alles ist so dramatisch. Alles ist so wichtig. Er hört kaum mehr zu.
Am frühen Morgen tritt er in der Dunkelheit auf eine Schnecke. Er wirft seine Hände in alle Richtungen, er flucht, er erbricht einen Wortschwall. Er verdammt die Schnecke, er verdammt die defekte Straßenlaterne, er verdammt die Behörden, dass sie die defekte Straßenlaterne nicht längest repariert haben. Die zertretene Schnecke klebt an seinem Schuh, schleimig und eklig und tot. Und einen Moment lang, einige Minuten sogar, ist die ganze Welt so richtig beschissen, ganz fürchterlich.

Stimmt, genau erfasst, lieber Disputnik.
Alle reden und regen sich auf über alles und jedes und doch bleibt die Mitmenschlichkeit auf der Strecke, trotz des vielen Geredes und dann passiert uns ein kleines Mißgeschick und wir erkennen, wir tun das gleiche, wir reden und fluchen, so wie alle anderen auch und bei der nächsten Schnecke geschieht es wieder…
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Vielleicht ist die Ohnmacht bei den Dingen der grossen Welt einfach zu gross, um überhaupt damit umgehen zu können. In der kleinen Welt sind die Dinge zumindest greifbarer…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Die globale Welt(sicht)
versucht tagtäglich meine
lokale Welt(sicht) zu
zerstören…
aber ich lasse es nicht zu,
lieber Disputnik!
Ich kann mich nicht mit allem Unglück auf Erden befassen, mich allen Kriegen und sonstigen Schandtaten widmen,
denn das übersteigt meine Kraft bei weitem…
Hab einen schönen Tag, liebe Morgengrüße vom Finbar
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Geht mir ähnlich, lieber Finbar… Nur weil es die grosse heile Welt nicht geben kann, muss man ja nicht aufhören, die eigene kleine Welt möglichst heil und intakt bewahren zu wollen…
Dir auch einen schönen Tag, und herzliche Grüsse zurück!
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Das ist es ja eben, lieber Schreibfreund, schon die eigene kleine Welt ist weder intakt, noch heil..
Enjoy your weekend, Finbar
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Aber dort kann man vielleicht zumindest ein bisschen was flicken und reparieren, wenigstens teilweise…
Dir auch ein schönes Wochenende!
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Eben!
Dort fühle ich nicht diese erschöpfende Ohnmacht wie bei den vermaledeiten globalen Dingen!
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Damit triffst Du die Wahrheit vermutlich auf den Punkt, lieber Disputnik
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PS: …nämlich:
Ganz fürchterlich.
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Ganz normal fürchterlich…
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Tja,
so kann es gehen,
global gesehen und
lokal gesehen…
…und so ist es nun mal…
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Tjaha, so ist es nun mal, ja…
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