Jemand hat dem Bauern Herrmann eine Kuh umgeworfen. Das macht man nicht, sagt der Bauer Herrmann, das zeugt von Respektlosigkeit. Er grummelt noch ein wenig in seinen Bart, es ist ein imposanter, ein dichter, wuchtiger Bart, und dann sagt Bauer Herrmann, das sei sicher einer von den Negern gewesen.
Bauer Herrmann sagt Neger, weil es halt Neger sind, die hießen schon immer so, und außerdem komme Neger ja von negro und das bedeute schwarz und das sei doch gar kein böses Wort. Wirklich übel nimmt es ihm niemand, die meisten anderen Männer in der Kneipe greifen auf einen Wortschatz zurück, der deutlich weniger ausgereift ist und noch viel weiter in der Vergangenheit wurzelt. Überhaupt ist Bauer Herrmann ziemlich aufgeschlossen, was Ausländer betrifft, findet er, zum Beispiel hat er ja einen Knecht aus der Slowakei, vielleicht auch aus Slowenien, er verwechselt das immer, klingt ja auch ähnlich.
Im Dorf hört man natürlich davon, dass jemand dem Bauern Herrmann eine Kuh umgeworfen hat. Die Verkäuferin am Bahnhofskiosk erzählt, dass es wahrscheinlich einer von denen gewesen sei, und mit denen meint sie die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft am Dorfrand. Einer von denen habe auch schon mal bei ihr etwas gestohlen, erinnert sie sich, denen könne man sowieso nicht trauen.
Auch in der Kneipe redet man über die Kuh von Bauer Herrmann, und einer erzählt, dass es nicht nur einer von denen war, sondern sogar zwei, und dass sie der Kuh den Schwanz abgeschnitten hätten. Die Geschichte erhält weitere Ausschmückungen und Farben, es fließt noch etwas mehr Blut, es kommen noch einige Ungeheuerlichkeiten hinzu, und als die Geschichte wieder aus der Gerüchteküche kommt, haben vier Bewohner der Flüchtlingsunterkunft die Kuh ruchlos geschändet und sie anschließend getötet.
Natürlich könnte der Bauer Herrmann die Sache klarstellen, doch er hat gar keinen Kopf dafür, er ist mit seinen Gedanken nicht bei seiner Kuh, der es übrigens prächtig geht, sondern bei seiner Frau. Denn vor ein paar Wochen musste sich der Bauer Herrmann einer Operation unterziehen, man hat ihm die Gallenblase entfernt. Ein paar Tage hatte er im Krankenhaus zu bleiben, während seine Frau den Hof führte und die Kühe melkte. Dabei habe sie es aber nicht belassen, zumindest haben sie das dem Bauer Herrmann in der Kneipe erzählt. Man wolle sich ja nicht einmischen, aber man habe gehört, dass seine Frau mit einem anderem Mann im Bett war, nämlich mit dem Knecht aus Slowenien oder aus der Slowakei. Daraufhin hat der Bauer Herrmann seinen Bierkrug an die Wand geworfen, ist nach Hause gelaufen und hat zuerst seiner Frau aufs dreckige Maul gehauen, wie er es nannte. Dann hat er den Knecht zum Teufel gejagt, oder zumindest zurück nach Slowenien oder in die Slowakei. Zwar haben sowohl die Frau als auch der Knecht beteuert, dass nichts Anrüchiges oder Verwerfliches passiert sei. Aber wer so liederlich ist, der lügt auch schnell, findet der Bauer Herrmann.

Ich habe sie in einem Stück gelesen und dabei Kühe umfallen sehen. Danke, ein wirklich guter Ansatz.
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Die armen Kühe! Aber es freut mich sehr, vielen Dank!
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Schönen Dank!
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Gruslig finster…
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Ja, durchaus… Herzlichen Dank dir fürs Lesen, lieber Tristan!
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oh, oh, lieber Disputnik, bei allem Elend mußte ich jetzt erstmal schmunzeln, weil Du es so gut rüberbringst, dieses Geschwätz, das weder Hand noch Fuß hat.
Es klingt amüsant, aber das ist es keineswegs, denn mir geht schon die Lynchjustiz im Kopf herum, die brennde Unterkunft und die Hetze gegen alles, was nicht aus dem Dorf stammt, was von auswärts kommt, von außerhalb, was anders aussieht, anders spricht und noch etwas schüchtern guckt, nicht weiß, wo es hinsehen kann, denn jeder Blick kann der falsche sein…
Nichts hat sich geändert, die Anderen sind es immer, denn das ist einfach, da muß man sich nicht den Kopf zerbrechen. Weg mit ihnen, Rübe ab und alles ist gut… Verdammt, was geht in den Menschenlköpfen vor?
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Wenn man’s doch nur wüsste, was in manchen Köpfen so vor sich geht… Manche Menschen sind ziemlich gut darin, sich aus Mutmassungen und vorgefassten Meinungen eine Geschichte zu zimmern, ohne sich überhaupt zu fragen, ob die Geschichte auch den Tatsachen entspricht.
Vielen herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte und Gedanken, liebe Bruni…
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so gab es vor einigen Tagen die Meldung über Radio und Internet, im Kinopolis (hier in der Nähe) seien sehr viele Menschen umgekommen bei einem Massaker.
Ein Mann hätte wild um sich geschossen.
Auch Zahlen wurden genannt und alles klang mehr als fürchterlich.
Es stellte sich heraus, daß ein junger Mann zwar um sich ballerte, aber wohl mit einer Attrappe oder einer Luftpistole, das weiß ich jetzt nicht mehr genau. Da die Polizisten annahmen, es wäre scharfe Munition, wurde er vorsorglich erschossen… Schrecklich genug, ein Opfer zuviel, aber außer ihm war niemand etwas geschehen.
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Ja, ich erinnere mich an die Meldung; es war nicht die erste dieser Art, und es wird leider ziemlich sicher nicht die letzte gewesen sein…
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