Die winterkalte Luft hängt starr und reglos zwischen den Hügeln, ein leichter Dunst hat sich vor den nahezu wolkenlosen Himmel geschoben. Ein Mann steht neben den klaren und präzisen Linien von Eisenbahngleisen und blickt unentwegt nach oben. Über einem nahen Feld kreisen zwei Bussarde. Ihre mächtigen Flügel kontrastieren das Graublau des Himmels, sie wirken wahrscheinlich größer, als sie tatsächlich sind. Hin und wieder attackiert ein Bussard den anderen, ansonsten ziehen sie stoisch ihre Kreise, verschieben deren Mittelpunkt kaum merklich in Richtung des fernen Waldes. Der Mann beobachtet die Vögel, in seinem Gesicht zeigen sich Spuren eines Lächelns. Mehr geschieht nicht. Die Szene ist so banal wie unzählige andere Momente in jedem herkömmlichen Dasein. Doch das Lächeln im Gesicht des Mannes, es ist mittlerweile deutlicher und tiefer geworden, und es hat einen Grund. Er möchte seinen Kindern von den Bussarden erzählen, von ihrer majestätischen Art und von den sporadischen Attacken, er freut sich darauf, die Situation zu schildern, vielleicht sogar ein wenig zu übertreiben und mehr Spannung in seine Stimme zu legen, als eigentlich notwendig wäre. Und trotzdem, auch dieser Aspekt ist eigentlich äußerst banal. Zumindest für jedes andere herkömmliche Dasein. Nicht aber für das Dasein des Mannes neben den Eisenbahngleisen. In ihm kreisen die Bussarde weiterhin über dem Feld, unaufhörlich oder zumindest so lange es geht. Und er ist sich durchaus bewusst, dass die Bussarde irgendwann fortziehen werden. Doch bis dahin will er sie fliegen lassen, immer wieder.

Das Schöne an deinen Texten ist die absolut kompromisslose und eindeutige Stimmungslage, die ich so nur bei wenigen finde. Erstaunlich, und das über so lange Zeiträume hinweg.
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Das (und die Tatsache, wieder mal von dir zu lesen) freut mich sehr, dass diese Stimmungslage in deine Augen was Schönes ist… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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vielleicht nennen wir viel zu vieles banal. Betrachten wir es genauer, erkennen wir auch hier im scheinbar Banalen die Besonderheit, das was es erzählenswert macht, in dem etwas liegt, was weitergeben werden kann und so geht es hier dem Betrachter.
Er darf übertreiben so viel er möchte, seine Kinder werden ihm jedes Wort von den Lippen ablesen und sie werden sehen, wie hoch oben diese beiden Bussarde fliegen, wie sie dem Himmel so nahe sind und wie weit der Raum ist, in dem sie sich da oben bewegen.
Später werden sie es ihren Kindern weitererzählen, das, was der Opa noch wußte, als sich die Bussarde noch frei bewegen konnten und eins mit ihrem Element waren, denn nun sieht man kaum noch einen…
Und so wurde sie eine besondere Geschichte, die, die der Vater seinen Kindern erzählte…
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Ich bin ja gespannt, liebe Bruni, welche Geschichten die Kinder ihren Kindern erzählen mögen; Bussarde zählen diesbezüglich nicht zu den Lieblingen, aber vielleicht ändert das noch.
Und ja doch, auch im Banalen liegt viel Erzählenswertes. Es gibt eine Kurzgeschichte von José Saramago, in der er in Dutzenden von Seiten davon erzählt, wie ein Stuhl umkippt. (Oder er möchte es, schweift aber hemmungslos ab.)
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken und Worte. Und liebe Grüsse.
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hach, hemmungslos schweift er ab… Wie gut kenne ich das *lach*
Meinst Du jetzt Deine Kinder, lieber Disputnik? Da könnte die Liebe zu den Bussarden wirklich noch kommen oder zu den Falken, wer weiß, was da noch im Verborgenen liegt 🙂 Wappne Dich schon mal mit dem nötigen Wissen *g*
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Ich werde mich auf jeden Fall wappnen, liebe Bruni, ich tu es jeden Tag, sehr gern. Herzliche Grüsse…
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Von außen betrachtet, ist vieles banal, das für uns selber eben doch wichtig ist. Kinder gibt es Milliarden, aber die eigenen sind etwas Besonderes. Väter gibt es Millionen, aber der eigene ist der wichtigste. Geschichten gibt es unzählige, aber die, die ein Vater seinen Kindern erzählt, sind für den Vater und die Kinder kostbar, und wenn sie noch so banal sind.
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Schön zusammengefasst… Ja, absolut, im Besonderen gibt’s wohl keine Banalität… Vielen lieben Dank fürs Lesen und für die Gedanken…
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