Um sich in Moral und Anstand zu üben, dürfte es wohl kaum einen besseren Lehrer geben als eine Person, die innerhalb einer Staatsregierung offiziell für diese Themen zuständig ist. Von Simon Lokodo müsste man also einiges lernen können, denn Simon Lokodo ist Minister für Moral und Anstand von Uganda. Der wunderbare und oftmals wunderbar unanständige Stephen Fry hat sich mit Simon Lokodo unterhalten. Warum man sich in Uganda offenbar so sehr damit befasse, was Homosexuelle in ihrem Privatleben tun, will Fry wissen, viel mehr als etwa mit der beinahe epidemischen Zahl an Vergewaltigungen von Mädchen durch Männer. Lokodo antwortet vollkommen staatsmännisch und erteilt eine kompakte Lektion in Moral und Anstand: «Aber es ist die richtige Art der Kindervergewaltigung. Es sind Männer, die Mädchen vergewaltigen, und das ist natürlich.»
Diese Aussage ist gleich auf mehreren Ebenen fürchterlich, und auf jeder dieser Ebenen möchte man dem ehrenwerten Minister abwechslungsweise ins Gesicht kotzen und in die Weichteile treten. Wer im gleichen Atemzug heterosexuelle Vergewaltigungen von Kindern rechtfertigt und gleichgeschlechtliche Liebe verteufelt, kann von Moral und Anstand unmöglich eine Ahnung haben. Oder?
Das Gespräch von Stephen Fry mit Simon Lokodo, es entstand im Rahmen eines Dokumentarfilmes, den Fry für die BBC realisiert hat. Es geht um Homophobie und ihre weltweiten Ausprägungen. Natürlich geht es um Uganda, es geht auch um Russland, um Indien, es geht um das Leben von homosexuellen Menschen in diesen Ländern. Derzeit ist Homosexualität in 83 Staaten oder Verwaltungseinheiten gesetzlich verboten und wird mitunter drakonisch bestraft. In Mauretanien etwa folgt auf die Ausübung eines solch widernatürlichen Aktes mit einer Person des eigenen Geschlechts der Tod durch öffentliche Steinigung. Im Sudan zeigt man sich gnädiger, die Todesstrafe wird erst fällig, wenn man zum dritten Mal erwischt wurde. Beim ersten Mal belässt man es bei 100 Peitschenhieben und fünf Jahren im Gefängnis. Auch in Uganda sollte die Homosexualität in einem neuen Gesetz mit der Todesstrafe sanktioniert werden. Auf internationalen Druck hin wurde der Passus geändert, sogenannte Wiederholungstäter werden nur noch mit lebenslanger Haft bestraft. Diese Glückspilze.
Es ist einfach, mit dem Finger auf Länder wie Uganda, Iran, Nigeria, Somalia, Jamaika oder Jemen zu zeigen. Auf Russland und Putin und seine Einstellung zur Homosexualität. Auf Indien und die Massenvergewaltigungen. Auf Südafrika, in welchem sich, mehr als in anderen Ländern, die als corrective rape bezeichnete Praxis etabliert hat, eine lesbische Frau mit Hilfe einer Vergewaltigung auf den Pfad der Tugend, sprich in die Heterosexualität zurückzuführen. Aber schon dort wird der Fingerzeig ein wenig zaghaft, denn in Südafrika ist Homosexualität keineswegs illegal. Im Gegenteil – das Gesetz erlaubt Homosexuellen sowohl die Heirat als auch die Adoption von Kindern.
Eigentlich wäre es auch einfach, mit dem Finger auf Simon Lokodo zu zeigen. Denn Simon Lokodo hat schließlich keine Ahnung von Moral und Anstand. Könnte man zumindest behaupten. Doch der Mann spricht immerhin sechs Sprachen, ist diplomierter Agrarsoziologe, Philosoph und Theologe. Vor seiner Politikerkarriere war er katholischer Priester. Mustergültige Voraussetzungen also, um als staatlicher Vertreter für Verhaltensregeln, Konventionen und Sitten im Land besorgt zu sein.
Ist die Auslegung von Moral und Anstand stets nur eine Frage der Perspektive? Und aus welcher Perspektive darf man mit dem Finger zeigen, auf wen, wohin? Vielleicht ist es einfach wichtig, mit dem Finger auf jene zeigen, die mit dem Finger auf andere zeigen. Auf Menschen wie Simon Lokodo. Auf Pastor Martin Ssempa und sein empörtes They eat the poo poo! Aber auch auf homophobe und transphobe Verbrechen in Wien, in Catania, überall in Europa. Denn um sich in Moral und Anstand zu üben, braucht man nicht zwingend einen Lehrer. Aber man braucht zumindest Augen.
>> Stephen Fry spricht mit Craig Ferguson über sein Interview mit Simon Lokodo
>> Eat the Poo Poo! – Pastoren aus Uganda sind empört
>> Bericht von Amnesty International über Homophobie, Transphobie und Hassverbrechen in Europa

Was für eine furchtbare Aussage. Hören diese Leute sich eigentlich selber zu?
Und ja, die Gesetze in Südafrika sind in dieser Beziehung sehr fortschrittlich – man hat sich nach 1994 viel Mühe gegeben, jedweder Diskriminierung gesetzlich vorzubeugen –, aber die Realität sieht leider anders aus. Doch auch hier sollten wir uns erst mal an die eigene Nase fassen. Es mag schwerer fallen, vor der eigenen Haustür zu kehren, weil man dafür zugeben muss, dass da Dreck liegt; dafür kommt man aber auch leichter hin.
Eine gute Faustregel für Anstand und Moral wäre übrigens die Frage nach dem Opfer…
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Wie recht du hast… Ja, man kommt leichter an den Dreck vor der Haustür oder hinter dem Haus. Und die Fragen nach dem Opfer (und an das Opfer) kommen wohl hier wie dort oftmals zu kurz…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken…
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