Er wollte Forscher werden, Archäologe vielleicht. Er mochte Dinosaurier, mochte die Welt, wie sie vor Jahrmillionen war, und nur zu gerne hätte er nach Reliquien gegraben, nach Überresten aus der Kreidezeit. Später wollte er dann Langlaufprofi werden, oder Lehrer, womöglich Sportlehrer, obwohl er sich in Turnhallen merklich unwohl fühlte. Während sich seine Freunde eine Zukunft als Lokomotivführer ausmalten, wusste er, dass dies für ihn nicht in Frage kommen würde. Noch weniger wollte er jedoch Boxer werden. Auf keinen Fall ein Boxer. Und nun sitzt er in der Ecke des Ringes.
Schon mehrere Male ging er zu Boden, wurde angezählt. Sein Gesicht schmerzt und fühlt sich an wie eine zähe Masse, die bleiern über den Schädelknochen liegt. In seinem Mund vermischen sich Blut und Schweiß zu einem eigenartigen Geschmack. Irgendjemand spritzt ihm Wasser ins Gesicht, es tropft scheinbar in Zeitlupe von seinem Kinn und prallt auf seine Stiefel. Im Hintergrund ein Rauschen, undefinierbar und stetig. Falls es Applaus sein sollte, würde er ganz bestimmt nicht ihm gelten. Doch er bezweifelt, dass jemand Beifall klatscht.
Vor ihm erstreckt sich eine quadratische Fläche, eigentlich eng begrenzt von Seilen, doch der Raum scheint kein Ende zu nehmen, die Dimensionen übersteigen das Fassbare, und gleichzeitig fehlt ihm jede Distanz, es gibt kein Verstecken. Er sitzt auf seinem kleinen Hocker in der Ecke, mit einem Pochen in den Schläfen und einem Hämmern im Hinterkopf. Die Hände sind notdürftig bandagiert, Stofffetzen hängen von den Knöcheln. Handschuhe gibt es keine, auch keinen Kopfschutz. Die Schläge kommen ungebremst. Ansonsten könnte es keine Wahrhaftigkeit geben.
Er wartet auf den Gong, antizipiert dessen dumpfen Klang. In welcher Runde sich der Kampf befindet, weiß er nicht. Irgendwann fing er an, und irgendwann wird er enden, und zwischen diesen beiden Polen taumelt er, ein Boxer, der kein Boxer sein wollte, keiner sein kann. Wenn er schlägt, trifft er die Luft, manchmal sich selbst, und noch immer ist er nicht sicher, gegen wen er eigentlich kämpft und weshalb er es tut. Es geht nicht um Punkte. Es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren. Vielleicht ist es gar nicht wichtig, worum es geht. Vielleicht ist es einfach notwendig, das Boxen. Vielleicht kann er gar nichts anderes sein, kein Archäologe, kein Sportlehrer, nicht einmal Lokomotivführer. Nichts anderes als ein Boxer.

Der Boxer, der man nie sein wollte, in einem Kampf, dessen Gegener man nicht kennt und dessen Angriffe so geschickt und zielsicher sind. Und dann gibt es die Momente, in denen man all seine letze Kraft zusammen nimmt, für den finalen Schlag, und man trifft und hebt die Hand zum Sieg, leichtgläubig, und all die Anspannung lässt nach und man sieht nicht, dass der Gegener wieder aufsteht, dass er wieder ausholt… es kann so zermürbend sein.
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Vielen lieben Dank für deine Worte… Ja, es kann zermürbend sein, vieles kann das. Vor allem, wenn man eigentlich gar nicht kämpfen und auch nicht gewinnen mag…
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fast möchte ich sie makaber nennen, diese Geschichte vom Boxer, der nie einer werden wollte und nun läßt er sich zerschlagen, sich zerstören an Leib, Leben und an seiner Seele, die nie die eines Boxers war und es auch nie sein wird.
Eine Menschenseele, verletzlich und zart, die sich unentwegt dieser in meinen Augen unnötigen Zerfleischung aussetzt und ich frage mich warum… (des Geldes wegen?)
Du merkst leicht, ich habe etwas gegen Sport, in dem bewußt auf Gegner eingedroschen wird, in dem der Gegner wie ein Feind behandelt und in meinen Augen mißhandelt wird und ich habe etwas gegen Leute, die es sich ansehen, die zusehen, wie einer den anderen fertigmacht… angeblich soll es sich nier um sportliche Wettkämpfe handeln!
Ein gewalttätiger Sport und gegen Gewalt habe ich viel.
Der Sinn Deiner Geschichte ist ein anderer, das ist mir klar, keine Angst, es kommt gut raus, Du hast es wie immer in eindrucksvolle Worte gefasst, aber ich mußte mir einfach ein wenig Luft machen…
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Vielen Dank, liebe Bruni, fürs Lesen und Weiterdenken und Luftmachen… Und ja, mir ist er auch höchst unsympathisch, dieser Sport, bei dem es einzig darum geht, den Gegner gewaltsam in die Knie zu zwingen. Auch wenn er gut als Sinnbild taugt…
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