Schon einige Male sagte man ihr, sie sei leicht zu durchschauen, man sprach von ihrer seidenpapierdünnen Haut und vom trivialen Glanz ihrer Oberfläche, von einer Hülle ohne Inhalt und von hübscher Einfalt, und sie hörte zu, weil sie nicht anders konnte, war den Worten ausgeliefert wie ein angeleintes Nutztier der Gerte, nur dass die blutroten Striemen im Innern brannten und nicht außen, nicht dort, wo die Blicke sie trafen wie rostige Messer, die sich tief in ihr Fleisch bohrten, und nur zu gerne hätte sie sich einen Panzer zugelegt, eine schützende Schicht, aber es gelang ihr nicht, die Schale wurde weder hart noch dicht, und alles, was sie sich hatte aneignen können, war eine Maske, eine zweite Visage, attraktiv und symmetrisch, und damit fiel ihr das Lächeln leicht, sie tat es, wann immer es gewünscht wurde, bei jeder Gelegenheit, auch dann, wenn sich die Traurigkeit schwallartig im ganzen Körper ausbreitete, und sie war erstaunt ob der Wirkung eines freudigen Gesichtsausdrucks, selbst wenn er jeder Authentizität entbehrte, sie fühlte sich sicher, wenn sie ihre Maske lächeln lassen konnte, und man bescheinigte ihr, sie sei bezaubernd und charmant, ein einnehmendes Wesen, wenn auch leicht zu durchschauen, und während ihr inszeniertes Antlitz stets mit lieblicher Verlegenheit und Naivität auf derartige Bekanntmachungen reagierte, erstarrte das wahre Gesicht unter der Maske zu steinernen Konturen, benetzt von Rinnsalen und übersät von salzigen Krusten, und als sie schließlich nicht mehr atmen konnte unter ihrer Fassade, sich Risse in den akkurat geformten Mauern bildeten und die Tränen nach außen drangen, sagte man ihr, sie habe jede Anmut verloren, da sei nichts Reizvolles an ihr, sie sei nur ein mitleiderregendes Geschöpf, jämmerlich und leicht zu durchschauen, und wie man sich von ihr abwendete und entfernte, warf sie die Maske endgültig ab, ließ ihr echtes Gesicht wieder atmen und schaute ihnen nach, schaute durch sie hindurch, ihr Blick fiel durch seidenpapierdünne Haut in die finstere Leere, und als sie sich unbeobachtet wusste, hoben sich ihre Mundwinkel, ganz leicht und langsam, aber unverstellt und aufrichtig, ohne schmerzendes Verkrampfen, und das Brennen der Striemen und Wunden, es ließ allmählich nach.

ein toller Text, lieber Disputnik, dem ich aus vollem Herzen zustimme.
So könnte es sein, so ist es oft, wir sehen eine schöne Oberfläche, eine Maske für die Oberflächlichkeit, für die, die denken, sie hätten den Durchblick und erkennen nicht mal eine dünne Haut, die nichts verdaut, nur lächelnd schaut.
Und irgendwann, wenn endlich Tränen nach außen fliessen, wenn Dämme brechen, bricht diese glattgebügelte Schale auf und das so lange verwundete Ich schaut heraus.
Nun ist es aber nicht mehr so einfach mit ihr umzugehen, denn das Echte erzeugt unterschwellige Spannung und in ihrer Unsicherheit lehnen sie das Echte schlichtweg ab. Sie schaffen es nicht mehr, hinter Gesichter zu blicken.
Der schöne Schein zählt allein
Sich ihnen zu stellen oder sie einfach stehen zu lassen, zeugt von wirklicher Größe und Kraft, wer das schafft, darf sich glücklich schätzen.
,
LikeLike
Liebe Bruni, vielen Liebdank fürs Kompliment und vor allem für deine Gedanken zum Text. Du hast völlig Recht, mit dem Glattgebügelten und Oberflächlichen ist offensichtlich einfacher umzugehen als mit dem Echten. Einfacher, aber kaum lohnender, denke ich… Nochmals herzlichen Dank fürs Hinein- und Weiterdenken…
LikeLike